
"Oh nein!", seufzte Bärdel, als er mitten 
im schönsten Morgenspaziergang ein weißes 
Rechteck aus Papier säuberlich auf einen Brombeerstrauch 
aufgespießt fand. Sollten die Menschen ihren 
Müll lassen, wo sie wollten, aber bitte nicht 
in Bärenleben! Mit spitzen Fingern - soweit Bären 
spitze Finger machen können - löste er das 
häßliche Ding vom Busch, hielt es angeekelt 
so weit wie möglich von sich fort und überlegte, 
wo er diesen Abfall am besten lagern könnte. Trotz 
aller Distanz aber musterte er den Gegenstand genauer 
und stellte fest, daß das kein Müll war. 
Leider nicht. Es war ein Briefumschlag, und er trug 
eine Adresse. In säuberlicher, nicht ausgeschriebener 
Schrift stand da: 
Herrn Bär
Bärenleben
Falls unzustellbar - zurück!
Bärdel wußte natürlich, daß die 
Menschen Vornamen hatten, daß sie in Häusern 
mit Hausnummern wohnten und daß eine Behörde 
den Orten, in denen sie wohnten, fünfstelligen 
Nummern gegeben hatte, damit die Briefe, die sie einander 
schickten, auch tatsächlich ankamen. All das fehlte 
hier. Also mußte ein besonders intelligenter 
Briefträger für den Bezirk Bärenleben 
zuständig sein, wenn er sein Ziel auch ohne diese 
Hilfen gefunden hatte. Aber das war nicht das Hauptproblem. 
Um Bärenleben zu finden, mußte der Briefträger 
wissen, daß es Bärenleben gab. Um einen 
Brief nach Bärenleben zu schreiben, mußte 
der Absender wissen, daß Bärenleben existierte. 
Er mußte ebenfalls wissen, daß Bärdel 
- oder andere Bären - dort wohnten, deren Namen 
er allerdings nicht kannte. Vielleicht vermutete der 
Absender das alles auch nur. Warum sonst sollte auf 
dem Umschlag stehen: "Falls unzustellbar - zurück!"? 
Aber auch eine vermutete Existenz von Bärenleben 
war schlimm genug - bisher hatten seine Bewohner geglaubt, 
sich perfekt unsichtbar gemacht zu haben. 
Er untersuchte den Brief genauer. Neben der ordentlich 
entwerteten Briefmarke war ein Stempel sichtbar, schlecht 
und flüchtig aufgedrückt, aber mit Mühe 
doch zu entziffern. "Finanzamt Nord-Dehland" 
buchstabierte Bärdel zusammen. Finanzamt? Das 
nächste Rätsel war gegeben: Was hatten die 
Bewohner von Bärenleben mit Steuern zu tun?
Wie alle Bären war natürlich auch Bärdel 
extrem neugierig und wäre deshalb beinahe dem 
Impuls gefolgt, den Briefumschlag aufzureißen, 
aber er beherrschte sich im letzen Moment. Wenn er 
den Brief öffnete, würde er ihn akzeptieren 
- und er wußte nicht, ob das klug wäre. 
Er wollte das nicht allein entscheiden. Deshalb machte 
er sich auf die Suche nach Kulle.
Kulle hatte ähnliche Gewohnheiten wie er selbst. 
Während alle anderen Bären noch gemütlich 
in der Höhle pennten und erst draußen erschienen, 
nachdem die Sonne der norddehländischen Tiefebene 
wenigstens ein bißchen Wärme spendiert hatte, 
genoß Kulle ebenso wie er selbst gerne die Dämmerung, 
beobachtete, wie sich Farben aus dem Grau schälten, 
wie die Tautropfen auf den Blättern in allen Regenbogenfarben 
zu funkeln begannen und wie die Mittiere des Waldes 
den Tag begrüßten. Bei ihren Morgenspaziergängen 
gingen sie einander gewöhnlich aus dem Weg, weil 
jeder von ihnen allein sein wollte. Wollte man einander 
erfolgreich aus dem Weg gehen, dann mußte man 
wissen, wo der andere war. Selbstverständlich 
kannte Bärdel Kulles Route, und deshalb fand er 
ihn schnell.

"Guten Morgen, Kulle!" grüßte er 
höflich.
Kulle grunzte nur und tat so, als habe er ihn nicht 
gesehen. Bärdel konnte das zwar gut verstehen, 
aber jetzt gab es Wichtigeres, als lieb gewordene Rituale 
zu praktizieren. Kurzerhand stellte er sich Kulle in 
den Weg.
"Guten Morgen!" sagte er nochmals. "Ich 
weiß, daß ich Dich störe, aber Du 
mußt Dir das hier unbedingt ansehen."
Damit streckte er Kulle den Brief entgegen. Der blieb 
unwillig stehen und starrte nicht den Brief, sondern 
Bärdel böse an.
"Ich war gerade dabei, die schwierige Frage zu 
lösen, warum wir Bären die Vorstellung von 
einem persönlichen Gott für absoluten Unsinn 
halten! Das liegt nämlich daran, daß..."
"Entschuldige!" unterbrach Bärdel ihn. 
"Aber wenn ich diesen Brief, den ich hier in der 
Hand halte, richtig bewerte, dann sind Deine Überlegungen 
vielleicht bald überflüssig, weil es keine 
Bären mehr geben wird. Wir haben ein reales Problem, 
kein philosophisches! Man hat uns entdeckt!"
"Unmöglich!" Kulle ärgerte sich 
sofort über seine von Emotionen und nicht von 
Vernunft gesteuerte Reaktion und fragte schnell weiter, 
um sein ungeschicktes Verhalten zu zu vertuschen: "Wer?"
"Das Finanzamt. Wahrscheinlich jedenfalls." 
Zum zweiten Mal reichte er Kulle den Brief, und diesmal 
nahm der ihn und beäugte ihn ebenso mißtrauisch, 
wie Bärdel es wenige Minuten zuvor getan hatte.
"Ich wollte Dich fragen, ob wir ihn aufmachen sollen", 
sagte Bärdel.
Kulle wiegte seinen dicken Kopf und strich dabei mit 
seiner rechten Pranke über seine Fliege, bei ihm 
ein Zeichen höchster Konzentration. Es dauerte 
eine Weile, bis er antwortete.
"Es gibt mehrere Möglichkeiten. Wir können 
den Brief vernichten und ihn vorher lesen oder auch 
nicht. Damit stellen wir uns tot, wobei wir entweder 
wissen, was man von uns will, oder nicht. Wissen ist 
immer gut, also sollten wir, wenn wir uns für 
diese Möglichkeit entscheiden, den Brief aufmachen, 
bevor wir ihn vergraben oder verbrennen. Die Gefahr 
bei diesem Verfahren ist, daß wir einen zweiten 
Brief bekommen und dann wieder vor demselben Problem 
stehen. Bei der Menschenpost gehen schon mal Briefe 
verloren, aber daß das zweimal hintereinander 
passiert, ist wenig wahrscheinlich. Beim zweiten Brief 
müßten wir also irgendwie reagieren. Wir 
haben natürlich noch eine andere Möglichkeit: 
Wir machen diesen Brief auf und reagieren darauf."
Weder Kulle noch Bärdel hatten eine Ahnung, wie 
eine solche Reaktion aussehen könnte. Momentan 
war diese Frage auch zweitrangig. Sie sahen sich an 
und nickten sich zu. Der Brief würde geöffnet 
werden, und zwar sofort.
Kulle zerrupfte das Kuvert und zog einen einzelnen Bogen 
Papier hervor. Er begann stumm zu lesen, aber Bärdel 
knuffte ihn unsanft in die Flanke.
"Halt den Brief gefälligst so, daß ich 
mitlesen kann, oder lies vor!
" 'Sehr geehrter Herr Bär, 
der Steuererklärung des Verbandes der Chemischen Industrie aus 1996 haben wir entnommen, daß Sie von diesem Verband Geldmittel in Höhe von
DM 10 000 000 
erhalten haben. Bisher haben Sie diese Summe unseren Unterlagen gemäß nicht versteuert. Hiermit werden Sie aufgefordert, die steuerliche Veranlagung der o. g. Einkünfte binnen einer Frist von 30 Tagen vorzunehmen. Es gilt das Datum des Poststempels.
Im Auftrage
Beutler
Finanzinspektor'
"Hm!" brummte Bärdel. "Diese Menschen!" 
Wäre Bärdel ein Mensch, hätte er sicherlich 
"Diese Schweine" gesagt. Er meinte den Verband 
der Chemischen Industrie. Der hatte also damals, als 
die Menschen Bärenleben zu nahe rückten, 
weil Dehland in einer Wirtschaftskrise steckte, und 
als Bärdel mit einem Trick Geld besorgte, mit 
dessen Hilfe sie auf Distanz gehalten werden konnten 
(vgl. "Außerordentliches Beispiel...")
, die zehn Millionen nicht aus irgend einer schwarzen 
Kasse genommen, sondern offiziell als Ausgaben verbucht.
Ratlos sah er Kulle an. "Und? Was machen wir jetzt?"
Kulle zerknautschte seine Fliege, so daß ihm schließlich 
nur noch ein zerrupfter Stofffetzen um den Hals hing. 
Ein besseres Zeichen dafür, daß ihm auf 
diese Frage keine Antwort einfiel, konnte es nicht 
geben.
"Also Bärenrat!" sagte Bärdel energisch. 
"Und nicht erst heute Abend, zur gewohnten Stunde, 
sondern sofort!"
Kulle nickte wortlos und ging nach links. Bärdel 
wandte sich deshalb nach rechts. Die anderen Bären 
und das Schwein mußten inzwischen aufgewacht 
und ausgeschwärmt sein. Wenn sie in entgegengesetzten 
Halbkreisen auf Bärenleben zugingen, würden 
sie sie alle treffen.
Eine halbe Stunde später war die Versammlung vollzählig. 
Unruhiges Gemurmel füllte die große Höhle. 
Alle spürten, daß etwas Außerordentliches, 
etwas Bedrohliches geschehen sein mußte, wenn 
sie zur besten Frühstückszeit vom Beerensammeln 
abgehalten wurden.
Bärdel berichtete von dem Brief des Finanzamts 
und erzählte für die Jüngeren dessen 
Vorgeschichte.
"Wir sind also entdeckt," schloß er. 
"Ich weiß zwar nicht, wie das geschehen 
konnte, aber Bärenleben ist enttarnt. Wir können 
noch eine Weile die Augen davor verschließen, 
uns totstellen, indem wir zum Beispiel so tun, als 
hätten wir diesen Brief nie erhalten, aber es 
wird ein zweiter Brief folgen, wie ich die Menschen 
kenne. Und ein dritter. Danach kommt dann die Polizei, 
die Krisenreaktionskräfte, was weiß ich. 
Danach kommt der Tod."
Melodramatische Auftritte hatten bisher nie zu Bärdels 
Repertoire gehört. Um so beeindruckter war die 
Versammlung von seinen letzten Worten. Ein langes Schweigen 
folgte.
"Könntet ihr..." das Schwein räusperte 
sich und entfernte den Kloß aus seiner Kehle. 
"Könnten wir denn nicht einfach bezahlen 
und danach wieder unsere Ruhe haben?"
"Können wir nicht!" antwortete Manfred. 
Da er für die meisten Innovationen in Bärenleben 
verantwortlich war, die sich nicht sämtlich mit 
Hilfe von "Anleihen" bei den Menschen realisieren 
ließen, war er zum Schatzmeister des Dorfes ernannt 
worden. 
"Von der milden Gabe der chemischen Industrie damals 
haben wir fünf Mark auf unserem Konto gelassen 
- für alle Fälle, wie wir damals dachten. 
Heute zeigt sich, daß wir dabei mindestens einen 
Fall vergessen haben. Darüber hinaus liegen in 
meiner Kasse einhundertundsieben Mark und zweiundfünfzig 
Pfennige, über deren Herkunft ich im Moment keine 
Rechenschaft geben kann."
Trotz der angespannten Situation schmunzelten die Bären 
- jeder wußte, wie leicht es war, von einem zufälligen 
Besuch in den Häusern der Menschen ein bisschen 
Kleingeld mitzubringen.
"Abgesehen davon," warf Kulle ein, "änderte 
eine Zahlung unsererseits nichts an der Tatsache, daß 
man uns entdeckt hat." Er hatte seine Fliege wieder 
geglättet und schien sich ein wenig gefaßt 
zu haben.
"Was machen wir also?" Tumu bemühte sich 
um Ruhe, aber ihre Stimme zitterte bei der Frage.
"Patria o muerte!" brüllte einer der 
jungen Bären plötzlich los. Er war ein intelligenter 
Bursche, was Kulle veranlaßt hatte, ihm in seiner 
freien Zeit ein paar Lektionen in kommunistischer Theorie 
zu erteilen. Jetzt zog der Lehrer indigniert die Augenbrauen 
hoch. 
"Dummer Junge!" brummte er. "Kampf ist 
nicht Selbstmord - ich dachte, ich hätte dir das 
beigebracht!"
Der Jungbär sank in sich zusammen, und Schweigen 
breitete sich aus.
"Was machen wir also?" Bei der Wiederholung 
ihrer Frage zitterte Tumus Stimme noch stärker, 
aber sie fuhr tapfer fort.
"Ich weiß jetzt, was wir alles nicht machen 
können: Wir können uns nicht verstecken, 
wir können nicht zahlen, und wir können nicht 
kämpfen. Was also können wir?"
Wieder herrschte Schweigen, langes Schweigen.
Schließlich quiekte das Schwein in die lastende 
Stille: "Als die Menschen mich verfolgt haben 
und mich aufessen wollten, da bin ich weggelaufen. 
Bei euch habe ich Schutz gefunden. Könnten wir 
nicht alle zusammen weglaufen und bei irgend jemandem 
Schutz finden?"
Brummen erfüllte die Höhle. Es war ein Brummen 
der Nachdenklichkeit. Viele Bären hatten dem Schwein, 
dem politischen Asylanten, bisher lediglich höfliche 
Neutralität entgegengebracht. Aber das Schwein 
schien gar nicht dumm zu sein. Vielleicht bedeutete 
seine Idee die Rettung.
"Wohin denn weglaufen?" wollte ein alter griesgrämiger 
Bär schließlich wissen. Er konnte sich nicht 
vorstellen, woanders als in Bärenleben zu leben. 
Die Frage schien einen Damm einzureißen. Viele 
Bären unternehmen in ihren Tagträumen gerne 
Fantasiereisen, und seit die Bärenlebener Kontakt 
zu den Menschen hatten, lasen sie mit Genuß Reiseprospekte. 
An attraktiven Zielen mangelte es also nicht.
"Auf die Malediven..."
"Nach Kanada..."
"Ich wollte schon immer mal in die Namib..."
"Outback Australia, da findet uns niemand..."
"Lieber Neuseeland, das ist gleich nebenan..."
"Also ich..."
"Stop!"
Der Ruf kam gleichzeitig von Tumu, Manfred, Kulle und 
Bärdel, und nur weil sie gleichzeitig schrien, 
konnten sie sich gegen das Stimmenwirrwar durchsetzen.
"Stop!" sagte Kulle nochmals und sah seine 
drei Mitrufer an, um die Stimmung zu testen. Tumu schaute 
hoffnungslos, Manfred abenteuerlustig, Bärdel 
resigniert.
Kulle ließ sich nichts anmerken, als er fortfuhr: 
"In Outback Australia findet uns jeder, weil dort 
keine Bären leben. Ebensowenig in der Namib, in 
Neuseeland oder auf den Malediven. Kanada ist schon 
besser. Als erstes ist es also wichtig, uns ein Ziel 
auszusuchen, und zwar ein realistisches. Also Kanada, 
die USA, vielleicht die Karpaten. Ich nehme nicht an, 
daß wir noch einmal unser Glück in so enger 
Tuchfühlung mit den Menschen versuchen wollen 
wie hier. Das sind also die möglichen Ziele. Damit 
verbunden ist ein weiteres Problem, nämlich das 
des Transports. Wir müssen überlegen, wie 
wir ein mögliches Zielgebiet erreichen können. 
Ich schlage deshalb vor, drei Arbeitsgruppen einzurichten, 
und jeder Bär nimmt an einer teil:
Gibt es andere Vorschläge?"
Es gab keine anderen Vorschläge, wohl aber zwei 
Fragen.
Das Schwein wollte wissen, bei welcher Arbeitsgruppe 
es mitarbeiten solle, und erhielt die Antwort, es könne 
sich eine aussuchen.
Tumu fragte besorgt, ob sie denn für ein solch 
sorgfältiges Vorgehen genügend Zeit hätten, 
und Bärdel antwortete: "Sankt Bürokratius 
arbeitet manchmal sorgfältig, aber immer langsam." 
Tumu verstand die Antwort zwar nicht recht, aber weil 
sie ihrem Mann vertraute, beruhigte sie sich.
Zwei Tage später traf sich die Sippe wieder in 
der Höhle. Alle waren hungrig. Zwar hatte die 
Arbeitsgruppe "Nahrungssuche" bis zur Erschöpfung 
gearbeitet, aber das Futter reicht einfach nicht aus, 
wenn ein Bär zwei andere ernähren muß. 
Dennoch beklagte sich niemand. Alle wußten, daß 
jetzt geistige Anstrengungen Vorrang hatten, wenn sie 
es schaffen wollten, aus ihrer gefährlichen Lage 
herauszufinden.
Tumus beste Freundin, Dina, erstattete Bericht für 
die AG "Zielgebiete":
"Als Braunbären kommen für uns weder 
extreme Höhenlagen noch tropische Gebiete in Frage. 
Ebenfalls sollte unser künftiges Siedlungsgebiet 
eine kleine Menschenpopulation aufweisen, um Problemen 
wie denen, mit denen wir in Bärenleben konfrontiert 
sind, aus dem Weg zu gehen. Entsprechend diesen Kriterien 
hat unsere Arbeitsgruppe sich näher mit den Zielgebieten 
Kanada, USA, Karpaten, Alpen und Pyrenäen befaßt. 
Kanada ist zweifellos das menschenleerste Territorium, 
aber es gibt zunehmend ein Nahrungsproblem. Neben der 
üblichen pflanzlichen Kost, die aufgrund der kurzen 
Sommer recht beschränkt ist, muß man sich 
als Bär überwiegend von Lachsen ernähren,...""I 
gitt!" murmelte jemand aus dem Hintergrund.
"...aber aufgrund des menschlichen Raubbaus an 
der Natur haben die Lachse extrem abgenommen. Wir würden 
also in ein Hungerland ziehen. 
In den Alpen und den Pyrenäen versuchen die Menschen 
gerade ein Wiederansiedelungsprogramm für Bären 
und auch Wölfe - eigentlich also ideale Bedingungen. 
Leider aber sind diese Gebirge in der Mitte Europas 
zu dicht besiedelt. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen 
mit Bauern, die sich nicht scheuen, ihr Gewehr zu gebrauchen. 
Deshalb können wir diesen Siedlungsraum nicht 
empfehlen.
Die Karpaten sind zwar recht menschenleer, es handelt 
sich bei ihnen aber um ein politisch instabiles Gebiet. 
Wir rechnen damit, daß es dort in Kürze 
zu kriegerischen Handlungen kommen wird.
Bleiben die USA. Dort sind Bären eine geschützte 
Spezies - in den Nationalparks, aber auch in anderen 
ausgewiesenen Gebieten. Das sind zwar begrenzte, aber 
zum Teil riesige Territorien - die gesamten Rocky Mountains 
zum Beispiel. Es gibt eine Fülle einzelner großer 
Gebirgsstöcke, an die 3000 Meter hoch und menschenleer, 
in denen Bären sich je nach Jahreszeit in unterschiedlicher 
Höhe aufhalten und ihre Bedürfnisse befriedigen 
können. Wenn man als Bär nicht gerade eine 
Mülltonne leert - was in Anbetracht der dortigen 
bärengeschützten Mülltonnen fast unmöglich 
ist - oder ein Touristenzelt aufschlitzt, ist man dort 
völlig sicher und satt. Wir empfehlen die USA!"
Die Versammlung bedankte sich mit lautem Grunzen und 
Brummen für die positive Nachricht. Nur Bärdel 
schwieg skeptisch - er erinnerte sich nochgut an seine 
USA-Reise (vgl. "Bärdel meetes Smokey  the 
Bear").  
"Tja!" sagte Tumu und nickte ihrer Freundin 
zu. Bei der aktuellen Arbeitsteilung hatten hauptsächlich 
die Frauen die Kopfarbeit übernommen, in der Hoffnung, 
daß die kräftigeren Männer hinreichend 
Nahrung herbeischaffen würden. Nur Kulle hatte 
sich dieser Arbeitsteilung verweigert, er war Mitglied 
der AG "mögliche Wege". Aber Tumu legte 
wert darauf, daß sie diese Arbeitsgruppe leitete.
"Tja. Leider paßt unser Bericht nicht so 
recht zu dem, was wir eben gehört haben. Ihr könnt 
euch sicher denken, daß wir uns Wanderrouten 
in die Alpen, die Pyrenäen und sogar die Karpaten 
überlegt haben. Realistische Routen, meiner Meinung 
nach, auf denen wir nicht entdeckt worden wären 
und genug zu fressen gefunden hätten. Aber da 
wollen wir ja nicht hin. Kanada, USA - für unsere 
Überlegungen waren beide Ziele gleichwertig. Zwischen 
uns und beiden Ländern liegt Wasser, viel Wasser, 
so viel Wasser, daß wir es nicht durchschwimmen 
können. Wir brauchten ein Schiff oder ein Flugzeug, 
um dorthin zu kommen. Beides kostet Geld, und das haben 
wir nicht."
Tumu holte tief Atem.
"Mir persönlich, und vielleicht auch vielen 
oder allen anderen, erscheint die Empfehlung, in die 
USA umzuziehen, plausibel. Aber ich weiß nicht, 
wie wir das bewerkstelligen sollten."
"Es gab da mal einen Menschen namens Thor Heyerdahl, 
der ist noch gar nicht so lange tot. Der hat ein Floß 
aus Balsaholz gebaut und ist nach Westen gesegelt, 
um zu beweisen..."
Unwillig unterbrach Bärdel seinen Sohn.
"Ja, Heyerdahl wollte beweisen, daß eine 
Schiffspassage über den Atlantik mit bestimmten 
einfachen Mitteln zu bewältigen ist. Er wollte 
und er konnte nicht beweisen, daß eine solche 
Reise immer klappt. Das aber sollte uns wichtig sein 
- wir wollen schließlich alle ankommen. Deshalb 
ist die Methode Heyerdahl für uns indiskutabel."
Manfred fühlte zwar die mentale Ohrfeige, gab aber 
nicht auf.
"Hyjacking?"
"Death sentence?" hackte Bärdel.
"Was heißt das denn?"
"Wenn man mit illegalen beziehungsweise äußerst 
fragwürdigen Methoden in die USA einreisen will, 
sollte man zumindest wissen, was 'Todesstrafe' heißt," 
knurrte Bärdel.
"Schluß jetzt!" mischte Tumu sich energisch 
ein. "Ein Familienkrach ist wohl das letzte, was 
wir jetzt gebrauchen können. Aber Bärdel 
hat Recht - abenteuerliche, risikoreiche Methoden sind 
für uns garantiert ungeeignet." Nach einer 
Denkpause fuhr sie fort: "Wenn uns alleine keine 
Lösung einfällt, sollten wir überlegen, 
ob wir jemanden kennen, der uns vielleicht helfen kann!"
"Zum Beispiel dieser alte Kotzbrocken!" schimpfte 
eine alte Bärin vor sich hin.
Zuerst wußte niemand, wen sie meinte. Aber dann 
kam die Erinnerung - die Alte hatte damals bis zur 
Erschöpfung gearbeitet, gekocht, gebacken, gefegt, 
ein luxuriöses Bett aufgeschlagen - alles umsonst. 
Damals, als Grizzy Bärenleben besuchte (vgl. "Bärenbesuch"). 
Grizzy, der Grizzly, der einen Plan zur Vernichtung 
der Menschen verfolgte und sich stoisch gab, der aber 
Tumus unbändigem Lebenswillen unterlag und seine 
Aktivitäten einstellte. Grizzy, der seit seinem 
Besuch bei ihnen verschwunden war,  obwohl sie ihn 
eingeladen hatten, bei ihnen zu bleiben.
"Weiß eigentlich jemand, wo der Klugscheißer 
ist?" brummte die Alte.
"Nein!" sagten Kulle und Manfred im Chor. 
Wenn jemand wissen könnte, wo sich Grizzy aufhielt, 
dann sie. Sie hatten genau recherchiert, aber Grizzy 
hatte keine Web-Adresse mehr, gab keine Interviews, 
nahm nicht mehr an internationalen Konferenzen teil. 
Er schien wie vom Erdboden verschluckt. Nur Dina hatte 
eine Vision, sah kurz ein Bild vor Augen: Grizzy saß 
in der Abenddämmerung auf der Dritten Mesa und 
malte ein Sandbild. Mitten unter den Hopi war er nach 
Navajoart in hozro, in Einklang mit sich und der Natur. 
Sie behielt die Erscheinung für sich - dieser 
meditierende Bär war wohl glücklich, aber 
keine Hilfe für Bärenleben.
Schweigen breitete sich aus. Wenn Hilflosigkeit einen 
Geruch hatte, dann war die Höhle erfüllt 
von ihrem Gestank.

"Quiek!" sagte das Schwein endlich. Ihm war 
unbehaglich zumute - Schweine sind schrecklich sensibel. 
Die Steckdosenschnauze zuckte aufgeregt, die wenigen 
Haare waren gesträubt, der Ringelschwanz hatte 
sich ganz eng zusammengezogen. Es konnte die resignative 
Stille nicht länger ertragen. Seiner Meinung nach 
war es Zeit für ein bisschen Entspannung, vielleicht 
auch Hilfe.
"Wißt ihr, ich fühle mich wohl hier 
in Bärenleben, unter Bären. Ich will immer 
bei Euch bleiben!"
Die Aussage wurde mit vereinzeltem zustimmendem Gebrumm 
kommentiert, das dem Schwein Mut machte. Bären 
lassen sich gerne schmeicheln.
"Ihr seid so - gemütlich. Viel gemütlicher 
als andere. Glaubt mir, ich kann das beurteilen. Ich 
kenne nämlich viele Tiere, hauptsächlich 
natürlich Schweine. Aber auch andere. In meiner 
Jugend war ich in einem Streichelzoo. Wißt Ihr, 
was ein Streichelzoo ist?"
Die meisten Bären wußten es nicht und verlangten 
nach einer Erklärung. Das Schwein schien ein Märchen 
erzählen zu wollen, und sie ließen sich 
nur zu gerne für eine Weile von den unangenehmen 
Problemen der Wirklichkeit  ablenken. Nur Kulle runzelte 
ärgerlich die Stirn und öffnete schon den 
Mund, um zu unterbrechen, aber im letzten Moment fing 
er einen Blick von Bärdel auf und schloß 
ihn wieder.
"Ein Streichelzoo ist eine Abteilung in einem Zoo, 
in der viele verschiedene junge Tiere leben. Tagsüber 
werden die Tiere auf eine Wiese geschickt, und die 
Kinder der Menschen kommen, um die Tiere zu streicheln 
- oder das zu machen, was sie unter Streicheln verstehen. 
Dabei gibt es so manchen blauen Fleck!"
Die Bären knurrten zornig, aber das Schwein winkte 
ab. 
"Wir wollen jetzt nicht schon wieder über 
Menschen reden - sie sind eben entweder dumm oder grausam! 
Der Vorteil dieses Streichelzoos war, daß ich 
viele verschiedene Tiere kennenlernen konnte - Ziegen, 
Hasen, Hühner und sogar einen Gorilla!"

"Der wohnt doch in Afrika!" brummte eine junge 
Bärin ungläubig.
"Stimmt, der lebt eigentlich in Afrika. Aber die 
Menschen, die Zoos einrichten, nehmen auf so etwas 
keine Rücksicht. Jedenfalls, die Ziegen waren 
zickig und wollten mich immer auf die Hörner nehmen, 
die Hasen liefen ständig vor mir weg, und die 
Hühner hackten nach mir. Keiner war gemütlich, 
so wie ihr, auch nicht der Gorilla. Der wollte dauernd 
mit mir boxen. Trotzdem habe ich mich mit ihm angefreundet. 
Wir haben neben den Boxkämpfen über meine 
Zukunft als Koteletts geredet, und er hat mir Gorillamärchen 
erzählt ((vgl. "Grimmis Buch vom Gorillasee")). 
Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der die Gorillas 
von den Menschen bedroht wurden. Alles sah so aus, 
als würden sie ausgerottet. Aber eine sagenhafte 
riesige Fröschin hat sie gerettet, die Menschen 
vernichtet und schließlich eine neue Welt geschaffen."
Jetzt platzte Kulle endgültig der Kragen.
"Welch ein Unsinn! Märchen, schön und 
gut! Aber die Welt ist wissenschaftlich beherrschbar, 
nur wissenschaftlich, das erzähle ich Euch seit 
Jahren! Riesige Fröschinnen, die eine neue Welt 
schaffen! Pah! Der flüchtige Rauch einer Zigarre 
(vgl. "De rerum tabbaccorum")  ist realistischer 
als das! Schluß mit dem Unsinn! Laßt uns 
lieber überlegen, wie wir Geld besorgen - in der 
Welt der Derivate, der sogenannten Wertschöpfung 
aus dem Nichts, der Welt des Computerhandels und der 
Fakes dürfte das doch keine unüberwindliche 
Schwierigkeit darstellen! Manfred kann bestimmt..."
Jeder Satz ein Ausrufezeichen, aber trotzdem wurde Kulle 
gebremst, und zwar ausgerechnet durch Manfred. Bärdel 
hatte schon tief Luft geholt, aber er brauchte gar 
nichts zu sagen.
"Moment mal!" meinte Manfred nachdenklich. 
"Ich kenne die Story, die das Schwein erzählt. 
Das muß ein alter Gorillamythos sein. Ich habe 
ihn im Internet gefunden, herausgegeben von einem würdigen 
Silberrücken namens Grimmi Gorilla. Ich glaube 
nicht, daß der alte Herr schwindelt. Wollt Ihr 
die Geschichte lesen?"
Natürlich wollten sie. Zwar war es inzwischen später 
Abend, und sie hatten nichts gegessen, aber kein Bär 
kann einer Geschichte widerstehen, schon gar nicht 
einer guten. Also installierte Manfred flugs seinen 
größten Monitor, lud die Geschichte, und 
dann lasen, sahen und hörten sie. Stundenlang, 
bis helles Sonnenlicht in die Höhle sickerte. 
Dennoch schien kein Bär müde zu sein, und 
auch das Schwein hielt seine Äuglein tapfer weit 
offen.
"Und das soll stimmen?" fragte Tumu endlich 
skeptisch.
"Ob es stimmt oder nicht, kann uns egal sein," 
sagte Manfred. "Diese Tussi hat zur Lösung 
aller Probleme eine neue Welt geschaffen, eine Welt 
ohne Menschen, aber voll von Schlampanski - was immer 
das auch ist. Wir leben jedoch leider in einer Welt 
mit Menschen. Also lebt Tussi in einer anderen Dimension 
als wir, also kann sie uns nicht helfen."
"Ach ja, Stinker?"
Direkt vor dem Monitor, den sie völlig verdeckte, 
saß plötzlich eine riesige Fröschin, 
deren Farben ständig zu wechseln schienen - bald 
hatte sie einen grünen Rücken mit gelbem 
Bauch, einen Moment später schien sie schwarz 
und weiß gefleckt zu sein. Unverändert starr 
aber sah sie Manfred aus dreieckig geschlitzten Pupillen 
an.
Noch starrer als der Blick waren die Bären.
"Puh!" sagte die Fröschin. "Ich 
bin von den Gorillas zwar einiges gewohnt, aber Ihr 
stinkt noch besser, das muß ich zugeben. Ich 
schick Euch demnächst mal einige meiner Kinder 
zur Darmreinigung vorbei, die können das hervorragend 
- habt ihr ja gerade gelesen. Im Übrigen seid 
Ihr ziemlich kleinkariert - glaubt Ihr ernsthaft, daß 
jemand, der den guten alten Christengott nach Strich 
und Faden fertigmacht, nur in einer Welt zu Hause ist? 
Und Du" - jetzt fixierte sie Kulle - "Dir 
will ich mal speziell was sagen. Die Antiquiertheit 
des Menschen - und auch des Bären, hihi - läßt 
eine rein rationale Erfassung der Welt nicht zu. Punktum. 
Abgesehen davon, daß ich meinerseits eine rein 
rationale Erfassung der Welt nicht zulassen will. Will, 
verstehst Du? Die Welt als Wille und Vorstellung... 
So, genug der Grundsatzerklärungen. Die Menschen 
haben Euch entdeckt, Ihr müßt hier weg. 
Ich helfe Euch. Wollt Ihr in die Neue Welt, oder wollt 
Ihr bloß einen Lift?"
Unter dem Worthagel krümmten sich die Bären 
zusammen. Kulle hatte sich zu einer vollkommenen Kugel 
gerollt, Bärdel streckte lediglich den Kopf hervor 
und kam sich dabei ungeheuer mutig vor, Manfred hielt 
die Augen geschlossen und tastete blind nach irgendeinem 
Knopf zum Ausschalten. Alte und junge Bärinnen 
und Bären bildeten im Hintergrund der Höhle 
zwei schwer entwirrbare Knäuel. Nur Tumu und Dina 
wagten es, in die dreieckigen Pupillen zu blicken.
"Du bist...?"
"Tussi, wer sonst?"
"Du bist wirklich?"
Die riesige Fröschin wurde ungeduldig.
"Wenn ihr wollt, könnt Ihr mich ja kneifen. 
Ich hab nicht ewig Zeit. Draußen, da, wo ich 
jetzt sein sollte, vergeht gerade eine Ewigkeit. Also 
beeilt Euch. Ich brauche eine Entscheidung. Neue oder 
alte Welt?"
Tumu tastete nach Dinas Hand und fühlte einen Druck. 
Sie wußte nicht genau, was der bedeuten sollte, 
aber mit einer Sicherheit, die sie selbst überraschte, 
sagte sie: "Alte Welt."
"Na gut!" sagte Tussi. "Des Bären 
Wille ist sein Himmelreich. Wann soll ich Euch abholen? 
Ich schätze, zwei Wochen Zeit habt Ihr bestimmt."
Tumu fragte nicht nach, was 'abholen' hieß. Auch 
wollte sie kein Risiko eingehen. 
"In drei Tagen," antwortete sie. 

Tussi nickte wortlos und verschwand.
Allmählich erwachten die Bären aus ihrer Starre. 
Die meisten kamen aber nicht zu Bewußtsein, sondern 
grunzten nur und verfielen sofort in den wohl verdienten 
Schlaf.
Am dritten Tag hatten alle ihre Habseligkeiten gepackt. 
Als sie am Morgen aus der Höhle trotteten, betrachteten 
sie staunend das glänzende Tussimobil, das davor 
parkte.
Tussi saß hinter der Steuerkonsole.
"Where to?" fragte sie und spielte mit den 
Hebeln.
 "In die USA", sagte Tumu und wagte sich entschlossen 
als erste in das unbekannte Gefährt. Zunächst 
zögernd, dann aber immer weniger zurückhaltend 
folgten ihr die anderen Bärenlebener. Bärdel 
vergewisserte sich, daß alle in dem glitzernden 
Ding verschwunden waren, und stieg als letzter ein.
Innen war Tussis Gefährt viel geräumiger, 
als es von außen aussah - es bot Platz für 
eine gemütliche Höhle, neben der ein Bach 
plätscherte. Alles, was Bärenmägen begehren 
konnten, wuchs in ungewohnter Fülle auf engem 
Raum. Selbst ein extra Eichelberg für das Schwein 
war liebevoll in einer Ecke aufgehäufelt worden. 
Alle Bären brummten begeistert und machten es 
sich gemütlich, ohne der Angelegenheit auf den 
Grund gehen zu wollen. Manfred konnte seine Neugierde 
jedoch nicht bezähmen.
"Tussi", sagte er, "entschuldige bitte, 
aber mir ist aufgefallen, daß dieses Ding hier 
innen viel größer ist als außen. Das 
widerspricht physikalischen Gesetzen. Du mußt 
wissen, daß ich mich sehr für Naturwissenschaften..."
Tussi sagte nur: "Später!", ohne den 
Kopf zu wenden, während sie sich auf andere Probleme 
konzentrierte. "Hätte Dich beinahe weggedacht, 
hihi! Wollte ich gar nicht. Habe jetzt aber keine Zeit 
für ABC-Schützen-Fragen. Was meint deine 
Mutter übrigens, wenn sie USA sagt? New Jack?"
Was oder wo, verflixt, war "New Jack"? Manfred 
hatte keine Ahnung.
"Ich denke, meine Mutter möchte dahin, wo 
wir Bären leben können", sagte er schlicht.
"Na gut, New Jack lassen wir ausfallen, hihi. Rockies? 
Darauf spekuliert ihr wohl, was? Nee, machen wir auch 
nicht. Zu voll. Da leben schon zu viele andere Bären, 
nette Kerle übrigens, und abgesehen davon seid 
ihr für diese Gegend zu verweichlicht. Bei fünf 
Meter Schnee innerhalb von zwei Tagen kommt ihr doch 
vermutlich zu dem Schluß, der jüngste Tag 
sei gekommen, oder?"
Manfred mußte gegen seinen Willen nicken, und 
Tussi fuhr befriedigt fort.
"Sag ich doch. Wir lassen die Sache also ein bißchen 
niedriger angehen, und ein bißchen leerer. Ich 
dachte an Utah. Dünn besiedelter Staat mit hohem 
Bevölkerungswachstum, aber trotzdem genau das 
richtige für euch.  Derzeit cirka 1,8 Millionen 
Menschen auf 212.000 Quadratkilometern, wenn Du's genau 
wissen willst. Jede Menge Nationalparks, National Monuments, 
Wilderness Areas, Primitive Areas, Wildlife Reserves. 
Tendenz eher steigend. Alles so zwischen 700 und gut 
3000 Metern hoch. Arides Klima: kalte Winter, heiße 
Sommer. Wasser ist manchmal ein Problem, aber nicht 
in den Bergen, und die Berge sind einsam. Einverstanden?"
Manfred sah sich um. Kein Bärenlebener kümmerte 
sich um ihn oder Tussi. Hinter seinem Rücken fand 
ein Festmahl statt, von dem er bisher nichts bemerkt 
hatte. Jetzt allerdings stiegen auch ihm verführerische 
Düfte in die Nase - heiße Brombeeren mit 
Honigsoße, der Vanille zugesetzt worden war, 
konnten jeden Bären um den Verstand bringen, beinahe 
auch ihn selbst. Aber er nahm sich zusammen.
"In Bärenleben treffen wir alle wichtigen 
Beschlüsse gemeinsam, das habe ich von meinem 
Vater gelernt!"
"Ich weiß!" sagte Tussi. "Aber 
ihr seid nicht mehr und noch nicht wieder in Bärenleben. 
Du mußt jetzt entscheiden, du allein. Genau so 
allein, wie ich immer entscheide."
"Einverstanden!" Manfred wußte, daß 
er nichts entschieden, sondern sich einem vorgefaßten 
Entschluß Tussis gebeugt hatte. Er bemerkte, 
daß das Tussimobil das weiße Licht verließ, 
in dem es während ihrer Unterhaltung verharrt 
hatte. Blauer Himmel über vereinzelten weißen 
Wolken wurde sichtbar. Das Gefährt sank schnell 
tiefer, tauchte durch Kumuli und steuerte auf einen 
imposanten Gebirgsstock zu. Als es inmitten eines Birkenhaines 
zum Stillstand kam, spürte Manfred keinen Bodenkontakt, 
aber er wußte, daß sie gelandet waren.
"Das sind übrigens keine Birken, sondern Aspen", 
sagte Tussi, die mühelos seine Gedanken las. "Macht 
nichts - auf den ersten Blick ist manches hier genauso 
oder aber ganz anders als in Dehland. Das meiste ist 
ähnlich, das wirst du merken. Aber ihr wolltet 
es ja so haben. Keine New World, sondern nur einen 
Lift."
Tussi öffnete die Luke - oder wie sonst nannte 
man die Türöffnung eines Tussimobils? - und 
hüpfte auf eine sattgrüne Waldwiese. Ihre 
Passagiere taten es ihr nach und purzelten in die neue 
Heimat, die meisten äußerst ungeschickt, 
weil sie sich überfressen hatten. Bärdel 
gab sich Mühe, gemessenen Schrittes auszusteigen, 
aber irgendwie verhedderte auch er sich und stolperte. 
Tussi beobachtete das alles schmunzelnd.
"Okay, here we are. Die Sprache werdet ihr hoffentlich 
ohne mich lernen. Manches andere ist ein bißchen 
komplizierter. Er wird euch helfen. Ich lasse ihn da. 
Das meiste, was ihr braucht, kann er euch beibringen."
Tussi griff sich an die Hüfte. Bärdel hatte 
den Eindruck, daß sie einen Reißverschluß 
an ihrem Körper aufzog, aber das konnte natürlich 
nicht sein. Das Geräusch jedenfalls war ähnlich, 
und als es verklungen war, hockte ein ziemlich kleiner 
Frosch, der aus einer blauen Blase zu kommen schien, 
vor ihm und lächelte ihn schüchtern an. Abgesehen 
von einem gelben Bauch war er leuchtend grün. 

Außer den Bären, dem Schwein und dem kleinen 
Frosch war plötzlich nichts mehr auf der Wiese. 
Tussi und ihr Tussimobil waren verschwunden. Bärdel 
hatte es aufgegeben, sich über irgend etwas zu 
wundern. Er besah sich den kleinen Kerl genauer und 
begrüßte ihn zwar distanziert, aber mit 
freundlichem Brummen.
"Guten Tag", sagte er.
"Guten Tag!" antwortete der kleine Frosch. 
Sein Lächeln wurde breiter. "Guten Tag! Ich 
heiße Ramses."
Bevor Bärdel antworten konnte, spürte und 
hörte er hinter sich eine Bewegung. Etwas näherte 
sich, tastend, stolpernd, aber beharrlich. Anscheinend 
war einer von Tussis Passagieren aus seiner postgourmandisen 
Lethargie erwacht und schickte sich jetzt an, seine 
neue Heimat zu begrüßen. Oder sich zu übergeben.
Bärdel wunderte sich über sich selbst. Sarkastische 
Gedanken waren sonst nicht seine Sache. Sie waren ein 
Zeichen dafür, daß er sich überfordert 
fühlte. Mit der rechten Tatze strich er sich - 
konsequent im Gegenuhrzeigersinn - über den Solarplexus 
und dachte dabei im Uhrzeigersinn an gar nichts. Das 
seit Urzeiten tradierte Bärenberuhigungsmittel 
half - als er sich nach der Quelle der Bewegung umsah, 
war er völlig entspannt und keineswegs überrascht, 
Kulle zu sehen.
"Ramses!" Kulle war vollgefressen und aus 
dem Gleichgewicht geraten, deshalb klang seine Stimme 
heiser und schrill. "Ramses!" Kulle wollte 
kichern, produzierte aber nur ein ersticktes Kieksen. 
"Ramses! Welcher denn?" Kulle mußte 
husten und schluckte angestrengt, weil es ihm offenbar 
ein Bedürfnis war weiterzusprechen.
"Welcher denn? Ramses I., 1292 - 90 vuZ., Begründer 
der 19. Dynastie, General und Wesir des kinderlosen 
Horemheb? Oder Ramses II., manchmal genannt der Große, 
1279 - 13, übrigens die zweitlängste Regierungszeit 
ägyptischer Pharaos überhaupt? Falls du das 
bist, kannst du mir bestimmt einiges über deine 
Kriege gegen die Hethiter und Libyer erzählen 
- die Geschichtsbücher sind da sehr zürückhaltend. 
Vielleicht bist du aber auch Ramses III., der..."
"Schluß!" sagte Bärdel. "Schluß. 
Schluß. Schluß. Ich bezweifle nicht, und 
unser junger neuer Freund wird bald meiner Meinung 
sein, daß du uns auch noch etwas über die 
Ramsesse Nummer Vier-bis-ich-weiß-nicht-wieviel 
erzählen kannst, aber erstens wollen wir das in 
diesem Moment nicht wissen, und zweitens finde ich, 
daß jetzt nicht die Zeit für eine deiner 
ich-bin-ein-wissenschaftlich-gebildeter-Bär Einschüchterungsshows 
ist. Wir sind gerade auf einem uns unbekannten Kontinent 
gelandet und sollten uns vernünftiger benehmen 
als Kolumbus. Wie wäre es, wenn du das neue Mitglied 
unserer Gemeinschaft einfach mal ganz schlicht begrüßtest?"
Kulle schaute verwirrt drein, aber der Frosch blickte 
heiter in die Gegend. Er strahlte Kulle geradezu an.
"Ich bin Ramses", sagte er. "Einfach 
nur Ramses. Und du mußt Kulle sein. Ich erkenne 
dich an der Fliege. Tussi hat mich vor dir gewarnt. 
Bestimmt hat sie Grund dazu, aber ich finde dich nett. 
Über diesen Horemheb zum Beispiel müssen 
wir noch mal ausführlich diskutieren - schließlich 
hat er den alten Kult der Naturgottheiten wieder eingeführt, 
und Frösche haben..."
"Schluuuusss!" Bärdel spürte, wie 
die beruhigende Wirkung seiner Solarplexusmassage sich 
in Nichts auflöste. Aus den Augenwinkeln beobachtete 
er, daß sich inzwischen ganz Bärenleben 
um Kulle und Ramses versammelt hatte. Die meisten hatten 
staunend den Mund geöffnet, denn sie wußten 
nicht, daß es neben Tussi noch einen Frosch gab, 
der sprechen konnte. 
"Schluß!" sagte er energisch zum fünften 
Mal. "Zumindest vorerst: Schluß. Über 
diesen Haremskerl könnt Ihr Euch später streiten. 
Jetzt ist Zeit für eine offizielle Vorstellung." 
Er trat zwei Schritte zurück. "Das ist Ramses, 
den Tussi uns dagelassen hat, um uns zu beraten, wenn 
wir Probleme haben. Ramses, wir danken Dir alle, daß 
Du zu uns gekommen bist!"
Die Bären klopften die Pfoten gegeneinander und 
brummten, das Schwein quiekte im Takt dazu genau eine 
Oktave höher, und Ramses gelber Bauch lief sanft 
rot an. "Danke!" sagte er erkennbar verlegen. 
"Ich hoffe, ich kann Euch helfen, wann immer es 
nötig ist!"
"Ich fürchte, Deine Hilfe habe ich gerade 
sehr nötig!" japste das Schwein. Seit wir 
hier sind, habe ich das Gefühl, daß ich 
ersticke. Ist hier etwa die Luft vergiftet?"
Das Schwein war nicht allein mit seinem Problem. Auch 
viele Bären griffen sich an die Kehle oder an 
den Kopf und machten einen unglücklichen Eindruck.
Ramses schüttelte den Kopf. "Nein, die Luft 
ist hier bestimmt sauberer als da, wo ihr herkommt. 
Aber sie ist dünner. Wir sind hier ungefährt 
9500 Fuß hoch."
"Aber dann müssen wir alle ersticken!"
"Die Luft ist doch im Himalaya schon viel zu dünn!"
"Tussi will uns umbringen!"
"Hat jemand Sauerstoffmasken mitgebracht?"
Einige Bären kreischten hysterisch durcheinander. 
Andere ließen sich von ihrer Unruhe anstecken, 
und auch Bärdel und Kulle sahen sich verunsichert 
an. Tumu und Dina hielten einander fest an den Händen. 
Manfred dagegen war die Ruhe selbst. Als naturwissenschaftlich 
denkender Bär war er daran gewöhnt, auf die 
Einheiten zu achten.
Ramses war über die Reaktion, die er hervorgerufen 
hatte, sehr erschrocken und schien davonhüpfen 
zu wollen, aber Manfred hielt ihn fest und klopfte 
ihm beruhigend auf die Schulter. "Keine Panik!" 
sagte er. "Wir Bären sind nun mal Feuerköpfe, 
immer gleich aufgeregt, daran wirst du dich gewöhnen 
müssen. Am besten ist es zu warten, bis alle sich 
beruhigt haben, und die Sache dann zu erklären."
Ramses folgte seinem Rat und sah sich wenig später 
von skeptischen und fragenden Blicken durchbohrt. "Also", 
sagte er und schluckte, "also, das sind doch 9500 
Fuß! Fuß, nicht Meter! Ein Fuß entspricht 
gut 30 Zentimetern. Wir sind hier ungefähr 3000 
Meter hoch. Daran werdet ihr euch schnell gewöhnen, 
auch wenn ihr jetzt erstmal Atemnot und Kopfschmerzen 
habt. Vielleicht ist einigen auch übel. Aber in 
einer halben Stunde ist das vorbei." Er nickte 
bekräftigend und hüpfte genau 30,48 cm hoch 
in die Luft, um seine Worte zu unterstreichen. In dieser 
Höhe blieb er länger, als er eigentlich vorgehabt 
hatte, denn das Luftpolster, das die erleichtert prustenden 
Bären unter ihm bildeten, trug ihn tatsächlich 
dreißigeinhalb Sekunden lang.
"Was ist das denn für eine bescheuerte Idee, 
in Füßen zu messen?" Ein alter Bär, 
den seine Kopfschmerzen noch granteliger machten, als 
er ohnehin schon war, betrachtete skeptisch seine hinteren 
Extremitäten. "Mein Fuß ist ungefähr 
21 cm lang, schätze ich, und der von meiner Frau 
17. Alles krumme Zahlen, alles unterschiedliche Füße. 
Kann mir das mal jemand erklären?"
"Selbstverständlich!" Kulle drängelte 
sich in den Vordergrund, rückte seine Fliege zurecht 
und schien vollkommen vergessen zu haben, daß 
er vor wenigen Sekunden noch unter starkem Schwindelgefühl 
gelitten hatte. "Selbstverständlich! Die 
Entwicklung der Maßeinheiten in der Geschichte 
des sogenannten Homo sapiens sapiens entspringt dem 
objektiven Bedürfnis von sozial lebenden und zumindest 
teilintelligenten Individuen, sich..."
"Kulle!" Obwohl Bärdel nur flüsterte, 
hörte Kulle sofort auf zu sprechen. Diesen Ton 
kannte er: Bärdel stand kurz vor einer Eruption, 
wenn er ihn benutzte.
"Entschuldigung", murmelte Kulle. "Ich 
wollte doch nur..."
"Ja, ich weiß", sagte Bärdel müde 
und rieb sich seine schmerzende Stirn. "Aber überlaß 
das doch erst mal Ramses. Tussi hat ihn genau deswegen 
hier gelassen, denke ich."
"Das metrische System, an das ihr von Europa her 
gewohnt seid und das heute fast überall auf der 
Welt gilt, ist noch nicht sehr alt. Bevor es entwickelt 
wurde, haben die Menschen alle möglichen Maße 
benutzt, auf die sie sich irgendwie geeinigt haben. 
Solche alten Maßeinheiten gelten noch hier in 
den USA und außerdem in Burma und Brunei. 1975 
wollte man auch hier zum metrischen System übergehen, 
aber dann wurde ein konservativer Präsident namens 
Reagan gewählt, und der hat 1981 dafür gesorgt, 
daß alles beim alten blieb."
Ramses sprach sachlich und bescheiden, und Kulle zog 
sich lautlos in den Hintergrund zurück. Bärdel 
hatte den Eindruck, daß sein Fell eine Schattierung 
dunkler war als gewöhnlich, aber er war sich nicht 
ganz sicher.
"Na schön", meinte Tumu. "Ungewohnte 
Höhenlage, andere Maße und Gewichte - da 
habe ich uns ja was eingebrockt. Und das ist doch bestimmt 
noch nicht alles, oder?"
"Bestimmt nicht!" Ramses schmunzelte. "Manches 
ist sicher viel schöner, als ihr es gewohnt seid. 
Schaut euch doch nur mal um!"
Erst jetzt bemerkten die Neuankömmlinge, daß 
noch keiner von ihnen auf die Idee gekommen war, die 
weitere Umgebung in Augenschein zu nehmen. Die Wiese, 
auf der sie standen, wurde von Laubbäumen mit 
hellen Stämmen - "Aspen", erklärte 
Ramses - und Tannen und Fichten begrenzt. Von ihrem 
Standort aus waren drei hohe Gipfel erkennbar, kahle, 
graue steinige Kegel, auf denen noch Schneereste lagen. 
Der Himmel darüber war makellos blau, die Kumuli 
darin ebenso makellos weiß. An einer Seite öffnete 
sich der Blick in die Ebene, die weißlich und 
rötlich in der Hitze flimmerte.
Tumu suchte Bärdels Hand und fand sie. Staunend 
stand sie da, und auch die anderen blinzelten überwältigt 
in die Landschaft. Selbst Kulle war beeindruckt von 
all der Schönheit, die sie umgab, und merkte, 
daß ihm Tränen in die Augen treten wollte. 
Sentimentalität, fand er, paßte aber ganz 
und gar nicht zu einem wissenschaftlich denkenden Bären.
"Der Bär definiert sich durch Arbeit", 
brummte er deshalb und wandte sich Ramses zu. "Du 
hast doch bestimmt schon eine Höhle für uns 
entdeckt, oder? Also, Bärinnen und Bären, 
Schwein und Frosch: Fegen, Betten bauen, Beeren etc. 
sammeln! Statt Gutenachtgeschichte veranstalte ich 
heute Abend einen Einführungskurs: Basic Facts 
above the USA."
"Eine gute Idee!" lobte Ramses. "Vor 
allem der Einführungskurs: Basic Facts about the 
USA. Kommt, ich zeige euch die Höhle!"
Erst auf dem Weg zur Höhle merkte Kulle, daß 
Ramses ihn korrigiert hatte, aber er ließ sich 
seine gute Laune dadurch ebensowenig verderben wie 
alle anderen. Niemand hatte mehr Kopfschmerzen. Alle 
freuten sich auf ein neues Leben. Nur das Schwein runzelte 
noch einmal kurz die Stirn.
"Sag mal, Ramses, wie heißt die Gegend hier 
eigentlich?"
"Ihr seid in den La Sal Mountains, und das hier 
ist eure Höhle. Herzlich willkommen!"