Zwischen Küste und Bergen
 
Meer und Berge
 
Montag, 2. April 2007
Ja, wo wollen wir denn noch hin in der verbleibenden Zeit?
 
Freitag, 30.3.
Irgendwie sind wir darauf abonniert, immer wieder freitags unterwegs zu sein, und zwar in Gegenden, die auch der gemeine Urlaub machende Aussie attraktiv findet. Da wird es dann schnell quirlig und voll, und manchmal erscheint gar das von quartiersuchenden Menschen wenig geliebte Schild: No vacancy.
Aber heute sind wir früh dran, und weit wollen wir nicht. Kay präferiert die Küste, Ini eher wegen erhoffter Leere das Inland, was zu einer herzlichen ehelichen Zieldiskussion führt. Wir gucken uns Byron Bay an (nein, es war nicht der Lord, der hat seine Graffiti, wie man weiß, nur in griechischen antiken Tempeln hinterlassen und wird darob geehrt, während unsereins, wenn er an Kap Sunion „Ini war hier“ einritzt, vermutlich ins Kittchen muss; also es war nicht der Lord, sondern dessen Großvater, und der allgegenwärtige James Cook ist verantwortlich für die Benamsung). In Byron Bay treffen sich die Jungen und Schönen und Sportlichen, also wir nicht mehr; außerdem ist es uns hier viel zu voll. Ballina ist nur 40 Kilometer weiter südlich, und wir gucken genauer hin, weil wir da eigentlich bleiben wollten, aber eine 17.000-Seelen-Stadt ist auch nicht das, was wir uns unter einem Badeort vorstellen. Da fahren wir lieber zurück nach Lennox Head. Hier ist es richtig: Ein kleines Städtchen mit guter Infrastruktur, ein großer, ziemlich leerer Campingplatz und ein nicht enden wollender Strand.
An dem laufen wir uns die Füße platt und blasig, bei warmen 27°C, aber unter einem Himmel, der eher Husum im Oktober gut zu Gesicht stände. Zur Belohnung gibt es Lunch in der „Stadt“.  Da das Meer, das hier den Top-Surfern nicht mehr wild genug ist,  für harmlose Schwimmer aus Niedersachsen dennoch böse Überraschungen bereit hält, zieht Kay es vor, sein Bad im Lake Ainsworth zu nehmen, wo er gleich noch eine Teebaumöl-Hautpflege abgreifen kann.
Danach faulen wir rum, lesen Zeitung und tummeln uns ein wenig im hier zugänglichen, wenn auch nicht rasend schnellen Internet. Kay ist Inis Idee, ein heimisches Dinner mit dem Ziel der Vernichtung  verderblicher Vorräte zu veranstalten, nicht unbedingt zugetan - nun ja, sonderlich vielfältig wäre es nicht gewesen -, und so wandeln  wir noch einmal ins Ortszentrum. Das brummt auf einmal so laut, wie wir es tagsüber nicht für möglich gehalten hätten: Der Thailänder, zu dem wir uns zwecks Atzung begeben, platzt aus allen Nähten, und die Servicekinder zaubern dauernd neue Klapptische aus dem Nichts hervor, um hungrige Menschen nicht wieder wegzuschicken. Wir vertilgen deliziöse Satay-Spieße und anschließend schön scharfe Curries. Zu Hause schmeckt dann noch eine Flasche klassischer trockener roter Wein, so der dröge Titel: Vasse Felix kann auch das.
 
Samstag, 31.3.
Kurz vor sieben finden wir aus den Federn, zum Frühstück gibt es die Ananas, die es gestern Abend nicht gab, kurz vor neun machen wir eine Stadtrundfahrt durch das noch schlafende Zentrum von Ballina, und wenig später kommen wir nach Evans Head. Hier gucken wir uns genauer um, denn dies ist ein Küstenörtchen nach unserem Geschmack: klein, ohne Angeberei, gemütlich. Wir gucken zum Strand, gucken vom Aussichtspunkt aufs Meer, auf/in dem die Surfer im Dutzend darauf warten, dass endlich die richtige Welle kommt, gucken ins Zentrum und gucken nicht zum Campingplatz: Obwohl es hier nett ist, bleiben wir nicht, denn es ist viel zu früh.
Herbi richtet seine Nase Richtung Grafton. Das ist ein größeres Städtchen schon abseits der Küste am Ufer des Clarence River. Natürlich kommt man auf dem Pacific Highway dorthin, es geht aber auch anders: Man folge kleinen Sträßchen, fahre über alte Brücken ound benutze auch mal eine Fähre. So führt der Weg immer durch grünes Zuckerrohrland mit meist schnuckeligen kleinen Gehöften, Kühe, vorschriftsmäßig von ihren weißen Reihern begleitet, grasen auf fetten Weiden, ab und zu steht ein Feld voll Mais. So kommt man auch mal zum richtigen lokalen Feeling, weil man über einen Markt stolpert. (Fast) jedes Kaff hält hier regelmäßig Markt, meist einmal im Monat, und wir bummeln über eine Mischung aus Floh-, Wochen-, Kitsch- und Blumenmarkt.
In Grafton kaufen wir in einem Supermarkt ein, der gar nicht wieder aufhören will, und lassen uns dann luxuriös auf einem 5-Sterne-BIG4 mit Ensuite nieder. Die Sonne scheint, und wir sind faul, wobei wir selbst natürlich das Gefühl haben, ungeheuer viel zu tun: Zeitung lesen, lunchen (es gibt Kingprawns und auf den Punkt gereifte Avocados), planen, unsere wertvollen Werke der Allgemeinheit zugänglich machen, duschen, Bücher lesen… Auch nach dem Verschwinden der Sonne bleibt es lind: Wir schmeißen die Insektengiftlampe an und genießen das Leben draußen. Allzu viele dieser Samtabende wird es wohl nicht mehr geben.
 
Sonntag, 1.4.
Kay begrüßt den Tag mit einem kleinen Snupfen, was leider kein Aprilscherz ist, lässt sich aber trotzdem nicht von der Idee abbringen, eine aufregende Straße zu fahren. Nach Glen Innis kann man auf einem modernen Highway in zwei Stunden kommen, man kann aber auch länger brauchen, wenn man die alte Straße in die Nachbarstadt benutzt. In deren Mitte, mitten im Nichts, ist sogar ein Tunnel mit dem schönen Namen Convict Tunnel durch den Berg gehauen (woher das wohl kommt?), und nachdem wir uns erkundigt haben, ob der auch hoch genug für unser Auto ist - er ist -, kann es losgehen.
Uns erwartet eine ungemein gepflegte Gravel Road, was um so erstaunlicher ist, als sie wohl von kaum jemandem genutzt wird. Jedenfalls dürften die Menschen in den Bauerngehöften am Wegesrand eher bodenständig sein und sich um ihr Vieh kümmern, als dauernd mit dem Auto durch die Gegend zu rasen. Das Vieh ist Rindvieh, Fleischvieh, das sich auf sattgrünen Wiesen tummeln kann. Das Wasser kommt aus dem Fluss gleich nebenan. Heute lebt kaum jemand in diesem Tal, aber das war mal anders. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es auch hier einen Goldrausch, und Dalmorton war eine Stadt mit 5000 Einwohnern, die sich in dreizehn Kneipen besaufen konnten. Heute leben hier keine 13 Menschen mehr. In Newton Boyd erinnert ein Denkmal an über ein Dutzend im Ersten Weltkrieg gefallene Männer - auch hier gibt es kaum noch eine lebende Seele.
Wegen des guten Straßenzustandes sind wir schneller als erwartet wieder auf Asphalt und stehen vor der Alternative: rechts oder links? Rechts geht es in die Tablelands, in die hohen Berge mit dem Gibraltar NP und seinen Regenwäldern, links nach Glen Innis. Einen Blick wollen wir wenigstens auf den hochgelobten Park werfen, beschließen wir. Beim Blicke Werfen bleibt es auch: Es ist kalt hier oben, und zum Laufen ist Kays „Zuuustand“ nicht geeignet. Tja, und von da oben ist es näher nach Grafton als nach Glen Innis, und in Grafton gibt es einen Carwash, worauf Herbi dezent, aber energisch hinweist, und einen sehr gepflegten Campingplatz mit schönen Stellplätzen und dem Luxus eigener Sanitäreinrichtugen…
Wir finden uns auf dem Platz 227 wieder, demselben wie gestern, und lesen erst mal den Rest der dicken Wochenendzeitung. Da erfahren wir im Reiseteil, dass man nach Fischland-Darß-Zingst fahren soll. Übrigens steht in dem Artikel nicht „Darß“, sondern „Dar“ - wahrscheinlich hat der Journalist in seinem Sonderzeichen-Programm kein „ß“ gefunden. Die beste Reisezeit ist Juli/August, da gibt es Höchsttemperaturen von 35°C. In der übrigen Zeit ist es in Nord(!)europa bitterkalt, die Ostsee friert im Winter zu, und die Eingeborenen halten sich, um diese Eiszeit zu überstehen, an selbstgemachtem Sanddornlikör fest.Nach so viel Aufklärung delektieren uns an tasmanischem Wildlachs und lokal eingelegten Oliven, brutzeln ein knofihaltiges Stirfry, dass die Tussi brummt und das keine Erkältung überleben kann, und denken, dass wir morgen alle wieder gesund sind.
 
Montag, 2.4.
Kay kratzt es trotz allem noch im Hals, aber gut ausgeschlafen sind wir. Wohin? Ini sagt Süden, Kay sagt Norden, Ini schließt sich an: Wenn es den Glatzkopf zum Bald Rock zieht, kann das eigentlich nicht falsch sein.
Wir vermeiden den Weg über das Städtchen Casino, bei dessen Namen dem Lonely Planet der Stoßseufzer entfährt: „Oh, wenn es doch bloß eines hätte!“ Uns aber schreckt nicht die Langeweile, es geht um Kilometerbegrenzung. Auf kleinen Sträßchen, partiell nicht asphaltiert, lässt sich ein Stück des Weges gut abschneiden. Der Weg führt nach Tenterfield und weitgehend durch Kuhland in einer Wolke - es nieselt und ist mitnichten warm. Als wir angekommen sind, haben sich die Schleier gehoben, aber es ist nicht wärmer, sondern noch kälter geworden. Der Grund liegt auf der Hand: Wir sind 850 Meter hoch. Das tückische an australischen Autokarten ist, dass sie keine Höhenangaben enthalten; in dieser Beziehung sind sich leider alle Hersteller einig.
Was tun? Für eine Wanderung auf nassem Felsen, sowieso eine halsbrecherische Angelegenheit, ist es zu spät geworden, zum Bleiben in dem hübschen Städtchen, das für sich reklamiert, die Wiege der Nation zu sein („One Nation; One Destiny!“), ist es zu früh. Also auf zum Nachbarort! Da muss es einfach wärmer sein, sagen wir uns, gibt es doch rund um Stanthorpe jede Menge Weingüter. Allerdings geht uns unterwegs der kapitale Denkfehler auf: Wenn man im heißen Queensland, und da sind wir inzwischen wieder, Wein anbauen will, sollte man das in erheblicher Höhe tun.
Stanthorpe ist also ebenfalls ein kaltes Städtchen, die drei Caravanparks liegen sehr am Rand, und Ini hat keine Lust, heroisch zu sein, obwohl Kay den Harten markiert. Aber auch er muss zugeben, dass „The Vines“ niedlich aussieht. Die Durchfahrt in den Innenhof ist auch hoch genug für Herbi. Und wir waren in Australien noch nie in einem Motel - in einer umfassenden Feldforschung muss auch eine solche Erfahrung enthalten sein. Wir buchen uns also ein, finden ein nettes Zimmer vor und lassen die Heizung arbeiten.
 
 
Da wir unter diesen Umständen natürlich nicht kochen können, bleiben unsere frisch akquirierten Vorräte im Kühlschrank, und wir gehen bei „Anna‘s“ gleich nebenan essen. Dort tisch man uns die Mütter aller Austern und gefüllten Pilze auf, und dann folgen die Großmütter der Hühner und Enten: Will sagen, wir essen unsere Riesenportionen nicht auf - wenn man zusammen mit Kay essen geht, ein seltenes Erlebnis. Danach müssen wir noch ein bisschen glotzen, weil wir doch gar nicht mehr wissen, was Fernsehen eigentlich ist, und dann geht es in die Heia.
 
Dienstag, 3.4.
Wir genießen trotz der gestrigen Fressexzesse ein Motel-Monsterfrühstück und machen uns dann zum  Verdauungsspaziergang auf. Bis zu Bald Rock sind es dreißig Kilometer, und der Felsen, den wir zuerst vor lauter Eukalyptuswald gar nicht sehen, lächelt uns bestimmt zu, denn heute scheint die Sonne. Wir steigen langsam auf den größten Granitmonolithen der südlichen Hemisphäre und schnell, nämlich auf direktem steilem Wege, wieder ab, eine wirklich schöne Kurzwanderung.
Danach stellt sich mal wieder die Dauerfrage: Und wohin jetzt? In Richtung Küste gibt es zwar noch schöne Ecken, aber in die werden in zwei Tagen, wenn die Osterferien beginnen, Horden von Eingeborenen mit ihren Gören einfallen. Als Ausweg fällt uns der Weg nach Südwesten ein, und da liegt zunächst das heute wärmere Tentersfield. Danach kommt Glen Innes, das mit seiner keltischen Vergangenheit angibt und wirklich niedlich ist, aber auch über 800 Meter hoch liegt. Armidale als Nächstes gibt damit an, die höchstgelegene Stadt Australiens zu sein, nämlich auf 980 Meter. Hilfe! Hilfe erwarten wir uns von Tamworth, der Country-Music-Kapitale des Landes. Cowboys mit Gitarre, behaupten wir, treiben ihr Viel nicht über hohe Berge, sondern schlimmstenfalls durch rollende Hügel, und die sind flacher. Glück gehabt! Tatsächlich stürzt unser Highway recht halsbrecherisch von der Hochebene herunter, und wir spüren, wie es rasch wärmer wird.
Es ist Nachmittag, wir finden einen Platz in der Nähe des Zentrums - was liegt näher, eine Stadt mit Flair gemütlich zu Fuß zu erkunden. Flair? Vielleicht gibt es den während des zehntägigen Musikfestivals im Januar, aber heute zeigt und Tamworth nur, dass es hässlich ist, ein hässlicher 30.000-Seelen-Ort mit Unmengen von Unterkünften, die momentan recht leer sind, und Gaststätten, die überwiegend geschlossen sind. Gut, dass wir autark sind - rechtzeitig vor dem Dunkelwerden sind wir mit dem Verzehr leckerer Dinge fertig und flüchten vor den gefräßigen Mücken ins Auto. Außerdem schaudert es Kay draußen - der „kleine Snupfen“ will nicht weichen.
Vielleicht sind wir aber auch ungerecht gegenüber Tamworth - um Fünf schließen die Geschäfte, und um sechs machen die Kneipen auf - wir waren zeitlich gerade dazwischen da.