Mount Warning Caldera
 
Im Vulkan
Mittwoch, 28. März 2007
Wandern in der Caldera des Mount Warning (links mit der Knubbelnase).
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Dienstag, 27.3.
Früh sind wir wieder wach; erstens, weil wir unseren Rhythmus den hellen Stunden anzupassen versuchen (nach dem Ende der Sommerzeit ist es jetzt abends um sechs dunkel), und zweitens, weil es Kays Rücken besser geht, wenn er nicht zehn Stunden im Bett liegt.
Nach einem Strandspaziergang verlassen wir den sauberen, aber im übrigen lieblosen Platz, der anderen wohl zur Zwangsheimat geworden ist: Unser Nachbar hat sich in Hemd und Schlips geschmissen und fährt zur Arbeit. Wir fahren ein bisschen weiter an der Küste nach Süden, aber gegenüber gestern sehen wir nichts prinzipiell Neues: Man baut alte Dörfer zu Städten aus oder entwickelt gleich neue Städte am Reißbrett. Der Preis ist heiß und hoch: „Residentials“ werden ab Ende 500 „K“ angeboten. Da das Ganze eine gewisse Redundanz aufweist, nutzen wir die nächstbeste Möglichkeit für einen Rücksturz ins Inland und fahren nach Murwillumbah, einer Großstadt mit knapp 8000 Einwohnern am Rande zahlreicher NPs. Im Visitor Center hilft man uns weiter, ein Laden hat die Detailkarten der Gegend, die uns gefehlt haben, und bei Coles können wir unsere gegen Null tendierenden Vorräte auffüllen. Was also hält uns von einem Abenteuer ab?
Ohne zu wissen, wo wir heute abend landen werden, machen wir eine Rundfahrt durch den Border Range NP. Da australische Karten mit Höhenangaben aus unerfindlichen Gründen sehr zurückhaltend sind, sind wir überrascht, als uns Kays Wunderuhr sagt, dass wir die 1000 Meter mal wieder überschritten haben. Ebenso wie in den Bunyas scheint sich die Regenwald Community in dieser Höhe wohl zu fühlen. Hier allerdings sind es nicht Araukarien, die den Ton bei den großen Bäumen angeben, sondern Antarctic Beeches, die sich von Generation zu Generation immer von sich selbst ernähren. Der Regenwald macht heute seinem Namen alle Ehre, wird sind oft in der Wolke, und da ist es ganz schön kühl, schauder!
Es liegt also nahe, Quartier etwas niedriger zu beziehen, und da uns Murwillumbah am Vormittag ganz gut gefallen hat, kurven wir dorthin zurück. Der Campground ist sehr in Ordnung, das Wetter noch nicht ganz: Ab und zu gibt es selbst hier unten ein paar Tropfen. Tips für eventuelle Tagesausflüge morgen gibt uns Mr. Camping massenweise. Wir halten uns noch bedeckt, ob wir mehr als eine Nacht bleiben: Das hängt vom Wetter ab.
 
Mittwoch, 28.3.
Das Wetter äußert sich eindeutig: Ihr zwei bleibt hier, basta! Der Himmel ist makellos blau, und so verlängern wir gleich um zwei Nächte und machen uns dann zum Hausberg auf. Mount Warning heißt er, ein Nationalpark ist er, und er verdankt seinen ungewöhnlichen Namen keinem anderen als James Cook, der ihn 1770 so taufte, um seefahrende Menschen auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die die Riffe vor Kingscliff für Schiffe mit sich bringen. In der Tat: Wenn die Wolken es erlauben, dass man die Bergspitze sehen kann, die einer Revolutionsmütze ähnelt, dann weiß man, wo man ist.
Bei den Abos hat der Berg natürlich einen anderen Namen, und er ist ihnen heilig, wie auch anders, schließlich gilt das für alle markanten Landschaftsformen in diesem Kontinent. Vielleicht, weil die Bergspitze der Landteil Australiens ist, der morgens als erstes von der Sonne geküsst wird, oder weil die Regenbogenschlange oder der Weltfrosch oder sonst jemand… - who knows. Aus dieser Heiligkeit ergibt sich aber ein Problem: Eigentlich soll man nicht auf den Berg klettern, und das sagt die NP-Broschüre auch ganz deutlich. Danach aber kommen die Hinweise: Wenn Sie sich doch dafür entscheiden, den Berg zu besteigen, dann beachten Sie bitte… Der Pfad bergan ist übrigens galamäßig ausgebaut, wie wir feststellen, und auch das sagt über die Ernsthaftigkeit, mit der die aboriginalen Wünsche respektiert werden, einiges aus.
Ein Regenwald im Sonnenschein ist auch sehr schön, stellen wir fest, und einen von Regenwald bedeckten Berg zu erklimmen ist etwas ganz Besonderes. Gute 700 Höhenmeter trennen uns beim Start vom Gipfel mit 1157 Metern, und von denen schaffen wir auch alle bis auf die letzten 40, oder vielleicht auch nur 30 oder 20. Die Himmelsleiter, die zum Rundumblick führt, besteht aus schierem Fels, und der ist heute nass und glitschig. Wir machen unsere Klamotten gehörig dreckig, verzichten aber unseren heilen Knochen zuliebe auf die letzten Meter.
Nachdem wir wieder zurückgekrochen bzw. gelaufen sind, haben wir einen gepflegten Appetit, und den beabsichtigen wir in Tyalgum zu stillen: Dort gibt es das Flutterbies Cottage Café, eine ziemlich rosafarbene Kitschangelegenheit, in der die besten Pies Australiens hergestellt werden, wie unser Campingplatzbetreiber gestern behauptet hat. Wir können das nicht überprüfen, denn die heutigen Pies sind von einer Horde Bustouristen aufgefressen worden. Stattdessen gibt es leckeres Huhn mit Pesto und „kanarischen“ Kartoffeln und danach einen Dattel-Streuselkuchen. Angenehm gesättigt fahren wir durch die hiesige waldige und pastorale Idylle nach Hausen, belohnen Herbi mit einer Hand-Schwammwäsche für seine Drecknehmerqualitäten und fallen dann für ein verdientes Bier in die Campingsessel, aber nicht für allzu lange: Um sechs, wenn die Sonne untergeht, wird es jetzt schon schnell kühl - es herbstelt.
 
Donnerstag, 29.3.
Es herbstelt wirklich: Morgens zeigt unser Uhrenthermometer 14°C an, und das im Schlafzimmer!
Weil es hier so schön ist und weil wir uns für unsere gestrigen Heldentaten mit Faulheit belohnen wollen, fahren wir einfach spazieren. Man nehme: Ein Weserbergland, dessen Berge ruhig ein wenig höher und dessen Täler durchaus tiefer sein dürfen als beim Original, lasse es von zahlreichen Bächen und Flüssen durchfließen und - jetzt kommt das Wichtigste - begrüne es mit subtropischer Flora  In Bezug auf die Fauna spare man nicht mit Roos, Koalas, Echsen und anderen netten Tieren, subtrahiere aber lästige Fliegen und pieksende Insekten. Voilà - hier ist Shangri La, Paradise, The Spot, My Place, Heaven. Kein Wunder, dass sich in den siebziger Jahren hier Hippie-Kommunen entwickelt haben. Nimbin, eine davon, existiert immer noch und schlägt touristisches Kapital aus ihrem So-Sein und aus der Tatsache, dass das Land in dieser Ecke von NSW inzwischen durchaus hohe Preise erzielt. Da lässt es sich (vielleicht?) verschmerzen, dass der Anbau von Kiff heute verboten ist. Aber hier gibt es so viele verborgene Fleckchen, und der Boden ist so fruchtbar…
Auf winzigen Sträßchen schlängeln wir uns weiter mal hoch und mal runter, bis wir tatsächlich zu einem Wasserfall im Dschungel kommen, der aktiv ist (bisher war immer alles, was sich Wasserfall nennt, trocken) und der Protestor Falls heißt.
Nomen est omen: Hier begann 1973 eine Protestbewegung gegen die Holzindustrie, die sich anschickte, auch die letzten Inseln des endemischen Regenwaldes zu eliminieren. Die direkte Aktion, friedlich begonnen, musste sich zwei Jahre später mit Gewalt und Gegengewalt auseinandersetzen, der Kampf tobte lange und war 1982 endgültig entschieden: Aller noch existierender Regenwald wurde von der Staatsregierung zum NP erklärt. 1986 war die Unesco so nett, dem Ganzen ihr „World Heritage“-Siegel aufzudrücken, und seitdem protzen alle offiziellen Stellen mit ihrem ökologischen Reichtum. Tja, und wie würden die jetzt aus der Wäsche gucken, wenn sich die Hippies nicht für den Wald hätten die Hucke vollhauen lassen?
Fast verlieren wir die Orientierung im Gewirr kleiner und kleinster Sträßchen, mal asphaltiert und mal nicht, aber trotz irritierender Baustellen, die es tatsächlich schaffen, uns in die Irre zu schicken, finden wir den Weg in unser Heimatstädtchen, dessen Namen wir uns so schwer merken können: Murwillumbah? Murwumbillah? Wir kaufen noch schnell leckere Dinge ein und genießen anschließend ein paar rare Sonnenstunden, bevor der Tag schnell wieder zu Ende ist. Und als die Sonne verschwindet, kommen sie doch tatsächlich, die bösen, und stechen zu: Mücken auch hier. Jedes irdische Shangri La hat halt seine Grenzen.