Singapore
 
Singapur
 
Samstag, 14. April 2007
Raffles Landing - der historische Start Singapurs 1822. 
Bilder../Singapur.htmlshapeimage_2_link_0
 
Samstag, 14.4.
Um halb acht blinzeln wir ausgeschlafen in die Welt, die gerade hell geworden ist: Natürlich hat der Tag hier fast am Äquator nur zwölf Stunden, aber der Tag ist nach hinten verschoben. Das Frühstück ist hervorragend und wesentlich reichhaltiger als in „westlichen“ Ländern, muss es neben den üblichen englischen und amerikanischen doch auch die zahlreichen asiatischen Gelüste befriedigen.
Wir futtern uns einmal quer durch die Kontinente und machen uns dann bei für Singapore strahlendem Sonnenschein zum ersten thematischen Erkundungsgang auf. Der führt zu den Spuren der ersten Europäer in dieser Gegend und damit unweigerlich zu Sir Stamford Raffles, der als Beauftragter der Ostindienkompanie hierher verschlagen wurde und feststellte: „This is the place!“ Nun haben das schon andere festgestellt und SLC gegründet, aber bei Raffles wurde der Ort im Laufe der Zeit und nicht ohne sanfte Nachhilfe der gegenwärtig obwaltenden „gelenkten Demokratie“ eine kosmopolitische Stadt. Anschließend treiben wir uns in Chinatown herum, das mit ein paar wunderschön bunten Tempeln und vielen Märkten beeindruckt und ein Heritage Center hat, in dem die Geschichte der chinesischen Einwanderer eindrucksvoll dokumentiert ist
Neben all dem aber müssen wir immer wieder stoppen und nach Flüssigkeiten suchen und die gefundenen trinken. Kay schluckt ohne Ende Säfte, wird aber trotzdem immer röter im Gesicht und findet erst wieder zu normaler Farbe zurück, als ein Pitcher Bier (hier heißt das „Jug“, enthält aber, wie in USA auch, 1,4 Liter) in ihm verschwunden ist. Beim Trinken merken wir, dass wir auch Appetit haben, und vertreiben den mit Pizza à da Singapore. Während des Essens geht ein  Tropengewitter über uns nieder, und wir gehen nach dem Ende des Essens und des Gewitters erstmal zum  Trockenwerden zur heimischen Klimaanlage.
Da bleiben wir entgegen unseren guten Vorsätzen, diese bunte Stadt nachts im Lichterglanz zu bewundern, heute auch, trinken noch viel mehr Bier und pennen irgendwann mit mal ein-, mal ausgeschalteter Klimaanlage.
 
Sonntag, 15.4.
Da der Hotelschneider zugibt, Kays exzentrische Mondbluse nicht kopieren zu können, nicht innerhalb von 48 Stunden und vielleicht auch gar nicht, geben wir die Idee, einen Marvin-Nonis-Nachfolger in Singapore zu finden, auf, nicht aber die Schneideridee an sich. Ini schleppt Kay zur Far East Plaza in der Nähe der Orchard Road. In diesem Einkaufszentrum scheinen sich alle Schneider der Stadt zu konzentrieren, zumindest die, die in Touribroschüren Reklame für sich machen. Bei Mohan‘s bleibt Ini hängen, nicht, weil der anders aussieht als alle anderen, sondern weil er mit einer passenden Bemerkung daherkommt: „I‘ll make you trousers that are long enough for you!“ Die Wüstenhose, die Kay in Australien erstanden hat, ist in der Tat ein Ende zu kurz, der Mann hat den passenden Humor und, wie sich zeigt, auch die passenden Stoffe und eine gehörige Portion Überredungskunst, und nach einer halben Stunde hat er den Auftrag für zwei Hemden und eine Hose. Morgen Abend werden wir wissen, ob wir 400 Singapurdollar in den Schneidersand gesetzt haben.
Ganz in der Nähe der Plaza ist ein Hawkerzentrum, und da wir dergleichen noch nie gesehen haben, gehen wir gucken. Als wir ankommen, ist es ein Uhr, ein bisschen früh als Lunchtime für eine Stadt, die konsummäßig spät aufsteht. Dementsprechend sind auch die meisten Buden noch geschlossen, aber während wir an unserem Lemonjuice suckeln, machen immer mehr auf, und die Fülle exotischer Essangebote zu Spottpreisen reißt uns vom Hocker - aber nur, um ein bisschen weiter zu gehen. Hunger haben wir nach dem auch heute opulenten Hotelfrühstück noch nicht.
Wir lassen uns von der MRT (Mass Rapid Transportation) für wenig Geld, aber mit viel Hi-Tech nach Little India bringen, und dort zeigt uns die Stadt ein bisher unbekanntes Gesicht: viel weniger sauber, deutlich unordentlicher und ärmer. Für Fußgänger ist das hier irgendwie nicht gedacht, jedenfalls nicht für Europäer, die die Idee haben, dass ein zwanzig Zentimeter breiter  und 150 Zentimeter hoher Durchgang zwischen Warenstapeln kein Fußweg ist. So winden wir uns zum großen Teil am Fahrwegrand durch die Gassen und Straßen, in denen braune Menschen geschäftig oder müßig unterwegs sind, und gucken uns diverse Tempel und mehr oder minder gut erhaltene typische Häuser am Wegesrand an.
Das reicht erst mal für heute: Am Clarke Quay haben die meisten Restos zwar noch geschlossen, was Inis Hunger gar nicht gefällt, aber die Bistros haben geöffnet und neben dem Bier auch ein Körbchen Wedges, das den guten in Australien nicht nachsteht. So kommen wir entdurstet und enthungert nach Hause zur notwendigen Dusche. Draußen hat es übrigens keine gegeben: Außer ein paar kräftigen Donnerschlägen war heute bisher kein typisches Singapurwetter.
Abends brezeln wir uns auf und wandeln nochmals ins touristische Fressparadies, nämlich zum Clarke Quay. Ein Italiener am Fluss umgarnt uns am charmantesten und darf uns seine Seafood-Platter for two verkaufen, die uns auch ausreicht, weil Ini immer noch keinen richtigen Hinger hat. Der teuren Sünde einer Flasche Wein dazu - die Alkoholsteuer in Singapore ist exorbitant, was sich schon beim  Bier bemerkbar macht und bei höher Prozentigem um so mehr - lassen wir eine zweite in einer Bar um die Ecke folgen und gucken zu, wie die brave Stadt so gegen elf Uhr allmählich schlafen geht. Was soll sie auch anderes tun: Die Öffis stellen ihren Betrieb um Mitternacht ein, Autos sind ein Privileg weniger, und die Taxen reichen in Stoßzeiten bei weitem nicht aus.
Und wir schlafen dann auch bald.
 
Montag, 16.4.
Zwei „Projects“ stehen heute auf unserer Agenda, und Ini darf sich wünschen, womit wir anfangen. Sie entscheidet sich für den Zoo, und  das ist gut so, denn die hiesigen wilden Tiere erweisen sich als fast tagfüllend. Zuerst mal sind wir überrascht von der Anreise, die wir faul per Taxi erledigen. Dieses Inselchen ist, obwohl es so klein ist und so viele Menschen beherbergt, erstaunlich grün, und wir haben wider Erwarten noch mal ein Regenwalderlebnis. Obwohl der gemeine Asiate nicht lieb zu Tieren ist und sie am liebsten aufisst, wie unser Vorurteilregister weiß, ist der Zoo nicht die befürchtete Käfigagglomeration, sondern fast ein Paradies für die Insassen. Ob sich allerdings die Eisbären hier wohlfühlen, obwohl man es ihnen nach Kräften kühl zu machen versucht, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Aber Mama Eisbär ist schon 29 und damit eine sehr alte Dame, und wenn sie stirbt, soll Sohnematz in ein ihm genehmeres Klima umgesiedelt werden; im Gespräch ist übrigens - Hannover. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder…
Wir verbringen vier interessante Stunden im Zoo und brauchen dann mal wieder ein Bier, das wir am Clarke Quay bei den Brewerkz finden. Ein Burger und ein Salat lassen sich dazu auch essen, während „draußen“, also jenseits der Markise, das Nachmittagsgewitter nicht zu Potte kommt - zu unserer Freude herrscht auch heute kein „richtiges“ Singapurwetter. Wir wandeln heim und verschwenden zu Hygienezwecken mal wieder die Ressource, die es hier im Überfluss gibt: Wasser. Unsere Enttäuschung darüber, das wir das zweite Tagesprojekt, die Eroberung von Sentosa-Island, nicht schaffen werden, hält sich in Grenzen: Müssen wir halt noch mal wiederkommen, gelle?
Der Schneider hat uns nicht beschissen, wie sich herausstellt, vielleicht aber der Taxifahrer, der uns zu ihm hingebracht hat. Hier kostet die City für Autos Eintritt, je nach Tageszeit gestaffelt, aber dass das jetzt gleich fünf Dollar ausmachen soll, wo es heute Nachmittag doch nur einer war, mag uns nicht recht einleuchten. Aber sich um Geld zu kümmern ist heute Abend unser Ding nicht, wissen wir doch, dass die Getränke, die wir heute noch zu uns nehmen wollen, teuer sein werden. Das liegt nicht an ihrer Konsistenz - ein Tiger-Bier ist ein Tiger-Bier, sondern an der Lokalität, und die heißt Long Bar und ist im Raffles. „Littering encouraged“ hängt in Großmutter Küchen-Kreuzstich gestickt an der Wand, und in der Tat wandelt man hier auf einem  krachigen Teppich von frischen Erdnussschalen, und auf den Tischen stehen große Holzkästchen mit Nachschub. Das ist umsonst, alles andere aber kostet, zum Beispiel das Pint Bier stolze 17$. Wir genießen die Atmosphäre, essen ein paar leckere Hapse und krönen den Bierabend mit dem, was man hier angeblich trinken muss und was die meisten Gäste auch in ihren Gläsern haben: Singapore Sling. Der Cocktail schmeckt nur ein bisschen nach Hustensaft, vor allem aber so, als könnte man davon nicht besoffen werden. Wenn man weiß, was alles drin ist, stellt sich das anders dar…
Billig fahren wir mit der S-Bahn nach Hause, was auch deshalb eine weise Entscheidung ist, weil Taxen um diese Tageszeit extrem schwer zu bekommen sind, und gleiten sanft in Morpheus‘ Arme.
 
Dienstag, 17.4.
Wir können uns Zeit lassen, denn die Maschine nach Frankfurt startet erst kurz vor zwei Uhr nachmittags. So frühstücken und packen wir ganz gemütlich un d harren dann unseres schon von zu Hause aus gebuchten Transfers. Wenn wir gewusst hätten, wie gut Singapore funktioniert, hätten wir wohl nicht so viel Vorsicht walten lassen, aber wer kann schon ahnen, dass mitten in Asien eine gut geölte Maschine schnurrt? Wie nicht anders zu erwarten, klappt auch unsere Abholung reibungslos, und im flüssigen Verkehr - Staus gibt es hier einfach nicht - rollen wir in nur 20 Minuten zum Flughafen. Nach zehn weiteren Minuten haben wir eingecheckt und lesen in der Lounge noch ein bisschen Lokalzeitung, die unauffällig, aber wiederholt in ihre Berichterstattung einfließen lässt, wie schön man doch in diesem Stadtstaat leben kann.
Tja - kann man das? Wenn man auf Demokratie verzichten kann, auf Aggression und Rassismus, auf illegale Drogen und auf Umweltver-schmutzung, dann ja.
An Bord finden wir uns in der nicht ganz unbekannten Reihe 12 wieder und lassen uns verwöhnen, wobei der lange Tagflug immer wieder dazu einlädt, aus dem Fenster zu gucken. Unter uns ziehen die wilden Berge des unzähmbaren Afghanistan vorbei, die Luftkontrollstation danach heißt Grosny - unwirklich, dass es da unten so unwirtlich und hier an Bord so angenehm zugeht.
Daneben bleibt aber noch Zeit zum Fernsehen: Ini genießt „The Queen“, die Kay sowieso nicht interessiert, er hält es lieber mit „The Departed“ und anderen wilden Männern.
Für unsere fast letzten Singapur-Dollar erstehen wir eine teure Flasche alten Whiskys, der uns allerdings in Frankfurt gleich wieder von der lieben Polizei abgenommen wird. Der Schäuble-Wolfgang hat offenbar eine entsprechende Verordnung erlassen, und da wir den Kaufbeleg leichtsinnig vernichtet haben, können wir auch nicht beweisen, dass wir mir der Alkoholbombe die nächste Maschine nach Hannover nicht in die Luft sprengen wollen - oder so. Unsere Wut über das unfreundliche Willkommen verfliegt rasch und lässt das Realitätsprinzip siegen: Wir sind eben wieder in Deutschland.
Der Rest der Heimreise ist unproblematisch. Kurz nach Mitternacht sind wir in unserer versponnenen Wohnung und verschaffen uns mühsam Platz in unserem großen Bett.
Lang war sie, die zweite lange Reise dieses alternativ fleißigen Jahres, lang, aber anders als die erste immer kurzweilig, und  wir bedauern es nicht, noch mal langweilig in dieselbe Gegend geflogen zu sein.