Abmarsch!
 
Sonntag, 22.10.
Unser erstes Ziel ist der Royal Botanic Garden, und dort sind wir keineswegs allein. Bei traumhaftem Wetter - heute ist es schon vier Grad wärmer als gestern - zieht es Singles, Pärchen, Familien und größere Horden hierher, zur Lieblingsbeschäftigung der Aussies: Eating out(side). Nur Grillen ist hier verboten, sonst alles erlaubt: Hunde mitbringen, Alkohol trinken, Rasen betreten. Den meisten Eingeborenen dürfte die sie umgebende Pracht vertraut sein, und sie kümmern sich wenig darum, aber sie ist überwältigend. Wahrscheinlich ist die Behauptung, Melbourne haben einen der besten botanischen Gärten der Welt, nicht übertrieben, auf jeden Fall hat es einen sehr schönen, in dem zahlreiche Biotope aus der ganzen Welt angelegt worden sind. Wir treiben uns fast drei Stunden dort herum und haben längst nicht alles gesehen, aber der fleißige Tourist mit beschränkter Zeit hat ein Programm zu erfüllen, also weiter, huschhusch!
Als zweites hat Ini sich das Aquarium gewünscht, aber da das voller Menschen, insbesondere voller quengelnder und quäkender Möchtegernmenschen, genannt Kinder, ist, kommt heute nur das Klo der Lokation in den Genuss unserer Anwesenheit - morgen wiederkommen zu wollen dürfte eine kluge Entscheidung gewesen sein. Aber oops - auf einmal sind wir ohne Programm! Unser Tagesticket für Busse und Bahnen kommt somit zu verschärftem Einsatz: Wir fahren mit der Tram an den Beach in South Melbourne, was eine eigenständige Gemeinde ist, entdecken dort den Charme einer lebendigen Sonntagskleinstadt und finden - zugegeben, mit einiger Mühe - sogar ein Bier in der Sonne. Die Strandpromenade lockt, und immer an der Bucht lang stapfen wir tapfer bis St. Kilda, wo in Neopren verpackte Menschen einen Sport betreiben, den man vermutlich als Parasailing bezeichnet. Dort entern wir die nächste Straßenbahn und lassen uns wieder ins Zentrum schleichen - selbst am verkehrsarmen Sonntag ist auffällig, wie sehr eine Vorrangschaltung an Ampeln für Busse und Bahnen hier dringend eingerichtet werden müsste. Aber wir haben es nicht eilig - schließlich sind wir “on vacancies”!
Unser Heimbus gabelt uns anschließend auf und bringt uns, ein bisschen groggy nach einem langen Tag auf den Beinen, wieder nach Hause. Im Moment sieht es so aus, als hätten wir noch zwei solcher Tage vor uns: ETA für Alexandra ist Dienstag 1800, ETD Mittwoch 1100 - das könnte bedeuten, dass wir erst am Mittwoch früh an Bord gehen.
Mangels Hunger vertilgen wir nur unseren restlichen Gummikäse und bilden uns dabei im Fernsehen über die Schweinereien der Inquisition im 19. Jahrhundert in Italien - nicht gerade eine kirchenfreundliche Sendung, wohl aber eine aufschlussreiche.
 
Montag, 23.10.
Heute ist es drei Grad wärmer als gestern, und wir steuern als erstes Ziel das Aquarium an. Selbst am Montag Morgen ist das durchaus gefüllt, aber überwiegend mit Erwachsenen. Seit Townsville vor sechs Jahren wissen wir, wie beeindruckend die Unterwasserwelt ist, vor allem die bunte der Korallenriffe, aber auch diesmal sind wir fasziniert von dem bewegten Gewimmel, das so ästhetisch aussieht und doch nur damit beschäftigt ist, mit allen denkbaren Tricks ums nackte Überleben zu kämpfen. Zum Abschluss unternehmen wir noch eine Fahrt in eine andere Welt, die mit Wasser nichts zu tun hat, aber ein aufregendes Geruckel und eine fast perfekte Illusion bietet - auf der Leinwand läuft der Film, der eine rasante Fahrt durch eine Fantasielandschaft zeigt, und das Gestühl der Zuschauer wird entsprechend bewegt.
Docklands macht viel Reklame. Gleich neben dem CBD gelegen, heruntergekommen, als der Hafen wegen der großen Schiffe nach unten an den Flusslauf verlegt werden musste, wird das Viertel um den Victoria Harbour jetzt aufgemiezt und macht schon einen netten Eindruck. Die Frage, die wir uns allmählich stellen, ist aber: Wieso gehen die zahllosen Lokalitäten mit Latte macciato etc., die hier wie Pilze aus dem Boden sprießen, nicht ein wie die Primeln? Oder trinkt der Melbourner als solcher 48 Stunden am Tag Kaffee? Wir helfen der lokalen Gastronomie damit, dass wir genüsslich am Hafen lunchen - al fresco nennt man das hier und wirbt heftig mit der Möglichkeit, und mittags in der Wärme können wir das auch gut ab, aber die Eingeborenen machen das auch abends in ziemlich klirrender Kälte.
Heute ist Dorftag: Die Agglomeration macht damit Reklame, viele verschiedene Stadtteile, de jure selbständige Städte, zu haben, alle mit eigenem Charakter. Also schaun wir mal! der erste Schauversuch ist allerdings nicht von Erfolg gekrönt, weil wir zu spät kapieren, dass Yarra und South Yarra keineswegs dasselbe sind. Deshalb landen wir zu unserer Verblüffung da, wo wir im September angefangen haben: Beim Hotel Como und der netterweise gleich daneben gelegenen Avisfiliale. Noch einmal von vorne, bitte!
Im zweiten Anlauf, unternommen u. a. mit einer Bahnfahrt, schaffen wir es nach Braunschweig, will sagen in die Brunswick Road, die vor Kleinstadtleben brummt und sich gut rauf- und runterwandeln lässt. Und danach ist es schon wieder ziemlich spät, und wir sind schon wieder ziemlich groggy - Zeit, unseren Bus zu jagen! Tatsächlich finden wir eine seiner Haltestellen und brauchen doch tatsächlich eine geschlagene Stunde nach Hause - bei Büro- und Geschäftsschluss ist diese Stadt eindrucksvoll verstopft.
Unsere Planungen für den morgigen Tag verwandeln sich schnell in Makulatur - die Alexandra kommt schon Morgen Nachmittag, und wenn sie kommt, will uns die Immigration sehen: Jetzt geht doch alles fixer als erwartet.
 
 
Zurück zum Meer, dem wilden!
Montag, 23. Oktober 2006