Mount Gambier - Melbourne
 
Mittwoch, 18.10.
Manche Campingplätze, und der heutige gehört dazu, übersetzen Gepflegtheit mit viel Licht, damit mensch ja nicht stolpert, wenn er nachts zum Klo wankt. Deshalb sind wir ziemlich taghell erleuchtet und können uns mit unseren Vorhängen der Grelle nur mühsam erwehren, was zu flachem Schlaf verhilft. Aber dazu kommt auch noch anderes - es juckt...
Wir verlassen den Campingplatz, halb und halb sicher, dass wir zwar dieser gastlichen Stätte, nicht aber der Stadt heute den Rücken kehren werden, denn es gibt viel zu erledigen. Zuerst besorgen wir Kay einen Nachmittags-Termin bei Dr. Cameron in der Ferrer Medical Clinic, eine Prozedur, die beweist, dass die Aussies mindestens so gute Deutsche sind wie wir, wenn es um Bürokratie geht. Dann beginnt eine Internet-Frenzy in zwei Etappen: Gestern in Robe haben wir gelernt, dass es hierzulande in öffentlichen Bibliotheken einen Internetzugang geben kann, und zwar kostenlos, und das ist in Mount Gambier ebenso. Dort besorgen wir uns die Post - Pfeiffers haben gemailt und uns neue Schiffsagenten-Daten zukommen lassen, die stimmen, wie sich später am Telefon herausstellt - die Firma gibt es, und sie kann auch mit unseren Angaben etwas anfangen. Aber richtig lange verbringen wir in einem Laden am Straßenrand, in dem wir Alumni benutzen dürfen und in dem wir alles Wichtige und Unwichtige erledigen. Coles ist gleich nebenan - ein Einkauf ist auch mal wieder fällig.
Danach wird die gestern versäumte Besichtigungstour der Ortssehenswürdigkeiten nachgeholt - die Kraterseen sind wunderschön und liebevoll erschlossen, wobei lustig ist, wie sich die “besseren” Vereinigungen der Stadt einen Wettbewerb liefern, und das ist nicht nur hier so: Wenn die “Lions” einen Park angelegt haben, dann haben die “Rotarier” mindestens das Klo dazu gebaut - et vice versa.
Dr. Cameron kommt zu unserer Freude zu dem Ergebnis, dass Kay zwar etwas Lästiges, aber nichts Ernsthaftes hat und dass unserer Heimreise per Schiff aus medizinischer Sicht nichts im Wege steht, vorausgesetzt, die 200 Gramm Salbe, die er vorausschauend verschreibt, werden sinnvoll appliziert. Versprochen! Versprochen, obwohl diese Salbe richtig unverschämt ist - sie verrät noch nicht einmal etwas über ihre Inhaltsstoffe, und einen Beipackzettel, das Herz aller deutschen Arzeneien, gibt es auch nicht.
Wir sind happy und bleiben hier, wenn auch woanders, in der Hoffnung, dass der zweite luxuriöse Platz der Stadt weniger gut beleuchtet sein möge. Neben unserem Heim im “Limestone Coast Caravan Parc” steht ein fast verblühter Fliederbusch, draußen tost der Sturm, Ramses erfüllt geflissentlich seine Tagesprognose, nämlich 27% Regenwahrscheinlichkeit, und wir futtern Prawns und delektieren uns an Tussi - danke, Tussi, nimm auch einen Schluck!
 
Donnerstag, 19.10.
Mit dem Wetter in Victoria ist das so eine Sache - man ist hier stolz darauf, an einem Tag alle vier Jahreszeiten erleben zu können. Ganz so extrem ist es im Moment nicht, aber durchaus abwechslungsreich. Nach dem vorgestrigen warmen Sturm mit abendlichem Abkühlgewitter und dem hässlich kalten Wind mit Regen gestern ist es heute fast durchgängig strahlend blau und dabei “crisp”, wie man hierzulande so schön sagt. Ramses verrät, dass er die hiesigen zahlreichen Wetterfrösche, deren Kompetenz-verteilung unklar ist, mit jeder Menge belgischen Biers bestochen hat.
Wir verlassen Mount Gambier in Richtung Nelson und sind bald an der Discovery Bay. Der Name klingt verlockend, aber leider gibt es hier außer Tree-farming nichts zu entdecken. Da stehen sie dann, die schnell wachsenden gradstämmigen Bäume, im Abstand von ein bis zwei Metern stramm wie die Zinnsoldaten, immer fein ordentlich nach Alter sortiert - mal kommen wir an den einjährigen Winzlingen vorbei, mal an den 35jährigen, die kurz vor der Schlachtreife stehen, mal an einem hässlichen flächendeckenden Clearcut.
Nach so viel Enttäuschung werden wir in Cape Bridgewater von der Küste belohnt: Ein murkeliges Sträßchen führt über grüne Hügel an die steile Wand, wo weißes Wasser emporgischtet - keine Blowholes im eigentlichen Sinne, obwohl man sie hier so nennt. Gleich nebenan liegt ein versteinerter Wald, ein ganz anderer als in Arizona, nämlich nicht zu Marmor gewordenes Holz, sondern seltsam ausgehöhltes. Nach so vielen Wundern kann uns nicht mehr erschüttern, dass wir in Portland das restaurierte historische Cable-Car nicht entdecken, weil es gerade weggefahren ist und lange Zeit nicht wiederkommen wird, und auch den unauffindbaren Abo in Tower Hill, dem nächsten schlafenden Vulkan, tragen wir mit Fassung - ein Kurznasenigel am Straßenrand entschädigt uns ein wenig, mag uns aber nur sein Hinterteil zeigen.
Aber dann kommt wieder Wunderschönes! Bei Peterborough stoßen wir wieder direkt zur (Steil)-Küste vor, die hier, und nicht in SA, wahrlich den Namen Limestone Coast verdient, und schon lockt der erste Aussichtspunkt, die Bay of Islands. Da bleibt uns doch glatt die Spucke weg und der Mund offen, und der mag sich lange Zeit nicht wieder schließen, mögen die Attraktionen nun The Grotto, Loch Ard Gorge oder Twelve Apostles heißen. Der wilde Meer hat die Küste angefressen und greift unverdrossen weiter an. Die Jesusjünger sind ein solches Nullklass-Stück, dass uns zum ersten Mal in Australien etwas zu voll vorkommt: Touris aus aller Herren Länder drängeln sich hier, und Tourbusse geben einander die Klinke in die Hand, falls Busse so etwas tun. Sogar eine Horde deutscher Schüler(-innen) samt pädagogischem Begleitpersonal ist anwesend und blockiert die Spiegel im Klo - was anderes als die eigene Schönheit ist ja auch nicht interessant, gelle? Wie die wohl hierher gekommen sind? Zu zählen scheint allerdings niemand genau - nur sieben fromme Jungs stehen im Wasser - ob die anderen Wein trinken gegangen sind?
Wir fahren letztlich weiter, als wir eigentlich wollten, weil sich eine gastliche Stätte nicht so recht anbietet, nämlich bis Apollo Bay, wo wir Herbert mit Meerblick installieren. So bekommen wir noch energisch in die Höhe strebende fruchtbare Küstenhügel mit, die mit Kühen und Schafen gesprenkelt sind und in denen sich sogar noch ein paar alte Karris tummeln, was den cleveren lokalen Tourismusmanagern die Idee eingepflanzt hat, auch hier einen Treeetopwalk  zu installieren. Da wir völlig off season sind - im Dezember und Januar boxt hier der Bär - ist das Resto des Campgrounds geschlossen - gute Chancen für unseren noch verbliebenen Basmatireis, verzehrt zu werden!
 
Freitag, 20.10.
Gut, dass Kay uns gestern so weit gekurbelt hat - wir starten im Regen, und der wird eine Weile lang nicht mehr aufhören. Objektiv betrachtet ist das auch durchaus verständlich - wie fahren durch Regenwaldflora, und von irgend was muss die ja leben. Meist nieselt es nur, aber das reicht aus, um Herbert nach innen wässern zu lassen, so dass wir Ducttape, Pütt und Pann und Läppchen aktivieren müssen, um nicht davonzuschwimmen. Der Blick auf den, wie der Reiseführer behauptet, schönsten Abschnitt der Küstenstraße hält sich unter diesen Bedingungen in Grenzen. Die Koalas, die hier angeblich nahe der Straße pennend in den Bäumen hängen, lassen wir sanft weiterträumen - wir sind schon nass genug und werden sie heute nicht stören. Vielleicht ein andermal!
Im nassen Grau und grauen Nass tauchen immer häufiger Örtchen auf, die immer fancyer werden - die große Agglomeration rückt näher, man ist in zwei Stunden hier, und wer Geld hat, hat hier eine Datsche. Da man eh wenig sieht, sehen wir zu, dass wir wenigstens eine Telefonzelle sehen - allmählich ist es Zeit, etwas über den Verbleib der Alexandra Rickmers zu erfahren. Beim zweiten Anlauf ist der richtige Mann am Telefon und verkündet uns einen längeren Australienurlaub als erwartet: Unser Schiff wird mindestens einen Tag Verspätung haben, wenn der Kapitän sich dafür entscheidet, zwischen den beiden neuseeländischen Inseln durchzusteuern, oder mehr, wenn er nordwärts fährt. Eigentlich, das wissen wir als Eingeweihte natürlich längst, führt die Route südwärts um die Südinsel, aber da ist oft scheußliches Wetter, wie jetzt anscheinend auch. Wir haben so was ein bisschen geahnt, denn die Wetterberichte, deren wir ab und an habhaft werden konnten, haben immer wieder mächtige Hochs ausgewiesen, die südlich des Kontinents vorbeizogen, und was das bedeutet, ist uns seit der Herfahrt klar - Wind und Wellenberge!
Wir steuern in Richtung von Herberts Heimat - der BIG4 “Ashley Parc” ist gleich neben der Melbourne-Niederlassung von Britz, und der hat zum Glück keine Ensuite-Site mehr, sondern “nur” eine Ensuite-Cabin - mit der großzügigen Wohnung gleich nebenan ist es natürlich viel einfacher, unser mobiles Heim zu leeren, zu reinigen und umzupacken. Das dauert seine Zeit, aber nach vier Stunden steht der Gute neben uns, als wäre er neu. Dabei haben wir ihn oder, genauer gesagt, Kay, über ca. 10.500 Kilometer Straße gescheucht, und das in diesem Land heil zu überstehen, hat mit Glück, aber auch mit viel Können zu tun. Jedenfalls kriegt Kay seine 5000$ Sicherheit, die der Preis für alle fehlenden Versicherungen waren, morgen anstandslos wieder, keine Frage
Eine Spaghettimahlzeit ist noch da - sie wird liebevoll bereitet und lustvoll verzehrt, und danach machen wir für kurze Zeit etwas, von dessen Existenz wir schon gar nichts mehr wussten: Fernsehen, und zwar nicht als Konserve, sondern live! Ein deja-vu-Erlebnis stellt sich ein, das vom letzten Sabbatjahr: Eigentlich muss man gar nicht jeden Tag verfolgen, was in der Welt passiert, das ist nur Ideologie von Politiklehrern. Es reicht, alle paar Wochen mal Nachrichten mitzukriegen, dann stellt man fest, dass im Irak alles ist, wie es auch schon vorher war, nur schlimmer, und dass Nordkorea jetzt ein weiteres Indiz dafür geliefert hat, dass es ein Schurkenstaat ist, und zwar ein gefährlicher - so what?
Wir machen beim Schafengehen Friedrich und Friedrich aus, weil sie so laut rattern, stellen aber mitten in der Nacht fest, dass es empfindlich kalt ist. Das lässt uns Zusatzdecken aus den Kinderbetten klauen und macht uns so munter, dass wir zu Murkels besonderer Freude morgens um drei einen raten müssen. Danach pennen wir bis in die Puppen, also bis acht.
 
Samstag, 21.10.
Nach etlichen kräftigen nächtlichen Schauern zeigt sich der Tag klar, aber kalt - an die 15°C wird es am Nachmittag haben, mehr nicht. Wir kratzen so etwas wie Strumpf- und Kordhosen aus unseren großen Koffern und machen uns warm angezogen bereit für den schmerzhaften Abschied von Herbert. Eigentlich könnten wir ihn noch einen Tag lang behalten, aber in der hiesigen Monsteragglomeration ist er eher hinder- als förderlich.
Die Britz-Aktion ist eine unerwartete Blitzaktion, so dass wir schon am späten Vormittag den 220er Bus entern können, der hier vor der Haustür hält und uns in die neun Kilometer entfernte City - pardon, den C(ommercial) B(usiness)          D(istrict) - bringt. Dazu braucht er fast 40 Minuten, fährt er doch gemütlich und ohne Vorfahrtschaltung durch die westlichen Vorstädte, hält alle 200 oder 300 Meter und verhilft uns so zu Einblicken in das Leben der Melbourner, die aus Indien, Vietnam, China und Schwarzafrika stammen.
Wir steigen in der Nähe der Flinders Station aus und lassen uns Richtung Federation Square treiben - in dieser Stadt feiert man, scheint’s, immer, heute mit indischem Schwerpunkt, und man hat immer irgendeine Ausstellung, in diesem Frühling eine mit überwältigenden Fotos. “Earth from above” enthält über 100 Luftaufnahmen, die die Schönheit, die Scheußlichkeit und die Verletzlichkeit dieser Welt ungemein eindringlich zeigen und mit Texten illustrieren. Ziel ist, so ist an etlichen Ecken zu lesen, Bewusstsein zu wecken und zu einem nachhaltigen Lebensstil gerade angesichts des sich wandelnden Klimas beizutragen. Die Fotos wurden gemacht mit einer Nikon, festgehalten auf Fujifilm, und überwiegend aufgenommen aus Hubschraubern von Eurocopter - und die gehören zur Militärabteilung der EADS. Noch Fragen zur Nachhaltigkeit?
Das Wetter ist so schön, dass wir uns noch mehr Bilder einpfeifen wollen. Das Melbourne Rialto hat ein Observation Deck und lässt sich dessen Besuch natürlich etwas kosten, aber die Ausgabe lohnt sich. Aus mehr als 200 Metern Höhe genießen wir einen 360-Grad-Rundblick, und danach sind wir allmählich erschossen. Es reicht noch für einen Spaziergang am Yarra entlang, bei dem wir Southgaste bestaunen - hier kann man futtern und shoppen und relaxen, alles gepflegt und sehr cool. Dann sind wir gar nicht unfroh darüber, dass uns der Bus nach Hause vor die Füße läuft - es reicht für heute, und außerdem wartet zu Hause noch eine Tätigkeit auf uns, vor der uns schon seit Wochen graut: Kreditkartenbelege und -abrechnungen abgleichen!
 
 
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Samstag, 21. Oktober 2006