Wind und Wellen
 
Freitag, 24.11.
In der Tat, der Wetterbericht für den Atlantik könnte netter sein: Wind 8 bis 9, schwere Böen, hohe See.
 
Samstag, 25.11.
Der Schlafteil der Nacht ist ziemlich genau um halb zwei zu Ende, denn da sind wir in Gibraltar. Der Atlantik drückt sein Wasser mit Macht ins Mittelmeer, und das führt in der Meerenge zu erheblicher Unruhe. Das schöne Wetter ist schlagartig vorbei: Es regnet und gewittert, der Wind pfeift, und je weiter wir nach Westen herauskommen, desto höher baut sich ein Swell auf, in den Alexandra mit ihrer Nase immer wieder hineinstößt und dabei schlägt und danach bockt und verlangsamt und merkwürdig hoppelt. Wir schaukeln also durch die Nacht und den Vormittag, versuchen, die Spanisch-Routine aufrecht zu erhalten, was wegen der Wackelei nicht ganz einfach ist, versuchen zu lesen, was doof ist, weil man die Schläge nicht kommen sieht, und ziehen daraus die Konsequenz, viel rauszugucken. Schön sieht er ja aus, der agitierte Meer (offiziell ist des Wasser “very rough”) mit sechs Meter hohen Wellenbergen, die auf uns zurollen, aber wir sind doch froh, als wir am frühen Nachmittag bei Cabo Saõ Vicente die Richtung wechseln und nach Norden dampfen. Jetzt dreht sich Alexandra zwar sowohl um die Längs- als auch die Querachse und ganz bestimmt auch noch um einige andere, aber die Gesamtbewegung wird bei abnehmendem Wind allmählich harmonischer, wenn auch zu wenig weniger.
 
Sonntag, 26.11.
In der vergangenen Nacht hat Ini trotz Alexandras Rollen gut geschlafen, während Kay und Murkel etliche Zeit mit “Ich weiß einen!” verbracht haben. Als wir aufstehen, vollführt das Schiff immer noch erstaunlich komplizierte Bewegungen, gemeinhin als “Schlingern” bezeichnet, was uns aber nicht davon abhält, uns sogar aufs Hauptdeck zu wagen: Von hier unten sehen die Wellen seeehr eindrucksvoll aus. Uns fällt auf, dass der Horizont gar nicht so gerade ist wie gewohnt, sondern von Wasserbergen gezeichnet. Anschließend treiben wir uns lange auf der Brücke rum. Wir sind am Cabo Finisterre, aus dem Nordkurs wird ein weiter östlicher: Auf geht es in die Biscaya. Die hat bis jetzt jenseits des Wetterberichts noch nichts Furchterregendes: Die Sonne scheint, der Wind und ein ziemlich ordentlicher Swell kommen von hinten, und Alexandra tanzt harmonisch. Das sollte uns aber nicht dazu verführen, eine Schale Eis nach dem Essen so einfach bei uns auf den glatten Tisch zu stellen: Wenn die ins Rutschen gerät und mensch dazu noch einen Computer vor dem Absturz retten muss, aber wir entschieden zu wenig Tentakeln, um eine kleine Schweinerei zu verhindern.
Nachmittags zieht der Himmel zu, und wir bleiben inhäusig. Kay holt ein bisschen Schlaf nach. Die Gelegenheit ist günstig, denn von ein paar unvermittelten Ausnahmen abgesehen liegt Alexandra ganz ruhig. Das mag man kaum glauben, wenn man aus dem Fenster guckt: Das Wasser ist völlig aufgewühlt, Tendenz zunehmend. Aber was haben wir gelernt: Die Frequenz der Wellen ist wesentlich wichtiger für das Verhalten eines Schiffes als deren Höhe. Bei der “ruhigen” Fahrt schafft Mecki es übrigens, in hohem Bogen vom Schreibtisch zu fallen, glücklicherweise ohne sich etwas zu tun. Nachts schlafen wir seicht, aber immer mal wieder: Alexandra wiegt uns wie Babies in der Krippe, nur mit dem Schönheitsfehler, dass die tiefsten Stellen nicht innen, sondern außen liegen.
 
 
Rauhe Biskaya
Dienstag, 28. November 2006