Von Hannover nach Davos
 
Freitag, 15.6.
Nach zwölf Tagen zu Hause bei schönem und zum Teil schönsten Wetter ist es höchste Zeit, sich wieder davon zu machen, zumal die Situation der vor sechs Wochen ähnelt: Ein Gewittertief ist im Anmarsch auf Mitteleuropa, gefolgt von diversen Frontensystemen. Da Ini beschlossen hat, dass uns trotzdem ein Traumsommer erwartet, hat sie die Schweiz als nächsten vorläufigen Aufenthaltsort vorgeschlagen und damit das von Mark wärmstens empfohlene Norwegen gekillt. Nachdem wir uns in Bezug auf Westskandinavien ein bisschen schlau gemacht haben, sind wir nicht nur wegen des Wetters, sondern auch wegen der stolzen Preise zurückgezuckt.
In der Hoffnung, dass es in Davos, immerhin 1560 Meter hoch gelegen, immer noch wärmer sein wird als in Tromsö, machen wir uns morgens früh davon. Angst vor einer quartierlosen Nacht brauchen wir nicht zu haben, denn das Übernachtungshotel in Kressbronn am Bodensee ist gebucht, aber es ist Freitag, und das bedeutet für das Fortkommen auf den Straßen am Nachmittag und Abend nichts Gutes. Sowohl was das Wetter als auch was den Verkehr angeht, haben wir erst mal Glück. Es ist sehr feucht und schwül, aber überwiegend trocken, und abgesehen von einem Stau, der einem brennenden LKW geschuldet ist, rauschen wir glatt durch.
Das Hotel ist nicht irgend eins, sondern das Teddybärenhotel.
In der Tat, die haarigen Gesellen sind überall im Haus. In unserem Zimmer lungern etliche Prachtexemplare der Herrmann-Werkstatt herum, weiland Sonneberg, jetzt Coburg, ungemein schön anzusehen, aber nichts für uns, denn knuddelfähig sind die Herrschaften nicht.
Wir verlassen sie erst mal, um uns die Beine zu vertreten, den See zu finden und ebenfalls ein Bier. Beides gelingt, wenn der See sich auch bald verdüstert: Die angekündigte Schlechtwetterfront ist angelangt. Im Regen stapfen wir wieder nach Hause und amüsieren uns dort bei einer Partei Bär-ärgere-dich-nicht, die Oicy souverän gewinnt.
Das Restaurant des Hotels macht Reklame mit regionaler innovativer Küche - mal gucken! Wir haben ein bisschen ein schlechtes Gewissen, denn wir sind erkennbar die einzigen Gäste, und unseretwegen soll die gesamte Küchenmaschinerie angeschmissen werden? Aber die Kochbären beklagen sich nicht und servieren uns zwei sehr deliziöse Viergänger - Kay hält es eher mit Fleisch, Ini  mit Fisch - in äußerst gemächlichem Tempo. Dazu bestellen wir einen weiß gekelterten Pinot Noir aus dem Ort - was es nicht alles gibt! Der kräftige Tropfen kitzelt unsere Geschmacksknospen auf eine bisher nicht bekannt Weise.
Hinterher schauen wir im Zimmer noch mehr oder minder konzentriert auf ein paar der zahlreichen Glotzenprogramme und machen uns dann ans Schlafen, was nicht so ganz einfach ist, haben wir doch bisher unsere Gemächer weder mit Herrn Bach noch mit Herrn Mozart und schon gar nicht mit Geheimrat Goethe geteilt, von allen dreien auf einmal ganz zu schweigen. Da Hans Heribert es auf sich nimmt, sich vor allem von Wolfgang G. vollsülzen zu lassen, sinken wir beide nach einer Weile erfolgreich in Morpheus‘ Arme.
Samstag, 16.6.
Die Sonne strahlt zwar nicht, aber sie lächelt ab und zu zwischen den Wolken hindurch und blinzelt auch auf unseren Frühstückstisch. Eigentlich blöde, ein Buffet aufzubauen, wenn nur zwei Gäste da sind, aber wenn man in seiner Werbung vollmundig Teddys Frühstücksbuffet verspricht, bleibt wohl nichts anderes übrig. Wir checken danach zufrieden aus - diese Teddybären waren ihr Geld wert!
Bis nach Österreich ist es jetzt nur ein Katzensprung. Immer am See lang schleichen wir uns weiter nach Süden Richtung Bregenz, denn wir verfügen bisher nur über ein Schweizer Autobahn-Pickerl und dürfen uns nicht auf die österreichischen Schnellstraßen locken lassen. Einkaufen dürfen wir in Österreich aber noch: Wer weiß schon, wann der Schweizer am Wochenende die Bürgersteige hochklappt?
Kurz danach nickt uns ein Grenzer in die Schweiz durch. Das Oberrheintal bietet einen breiten Zugang nach Süden, für Autobahn, Bahn und Fahrradautobahn. Und bald meldet sich das erste Schild: Heidiland. Ja, die Berge sind rundherum gewachsen, die Matten sind grün, und Namen wie Mayenfeld und Bad Ragaz sind zumindest Ini vertraut; Kay hat früher literarisch lieber Raketen zum Mond geschickt, statt mit dem Peter die Geißen zu hüten.
Bei Landquart biegen wir links ab, vertauschen das breite Tal mit einem schmalen und passieren Schiers und gleichzeitig ein Schild: „Weltmonument Salvinatobelbrücke“. Über dieses Herzstück der brückenbauenden Ingenieurskunst ist Ini schon zu Hause im Internet gestolpert, da müssen wir hin, beschließt sie. Und auf einmal sind wir wirklich in Heidiland! So steile und enge Straßen durch so viel Landwirtschaft kann es doch gar nicht geben! Über etliche Kilometer tasten wir uns vor, Herbi muss bei einem Ausweich-Rückfahrmanöver sogar ein wenig Plastik lassen, bis sie endlich vor uns auftaucht.
Das ist wirklich eine Brückenschönheit, Baujahr 1930, damals  atemberaubend, heute immer noch kühn und nicht ohne Grund in einem Atemzug genannt mit dem Eiffelturm von Menschen, die es wissen müssen, nämlich einer amerikanischen Bauingenieurs-vereinigung.
Wir kommen heil wieder runter von unserem Abenteuersträßchen, und jetzt ist es bis Davos nicht mehr weit. Immerhin haben wir hinreichend Gelegenheit, uns modernere schweizerische Straßenbaukünste anzugucken - Respekt, Respekt! Gegenwärtig versucht man, die an der Straße gelegenen Orte vom Durchgangsverkehr zu befreien, was entweder viel Brücke oder viel Tunnel erfordert.
Davos ist so etwas wie Sankt Peter, es besteht aus unendlich vielen Ortsteilen. In „Dorf“ finden wir den Wegweiser zu „Solaria“, und nachdem wir unfreiwillig einen ersten Blick auf „Platz“ geworfen haben, denn es herrscht Einbahnstraßenverkehr, kringeln wir zurück. Die Betonhauswürfel sind recht hässlich, aber sie liegen ruhig, und an der Rezeption werden wir herzlich begrüßt und eingewiesen. Unser „Studio“ im Haus 41 mag uns dann aber gar nicht gefallen, es hat den Charme eines hässlichen Hotelzimmers und erinnert bestenfalls vage an das Foto im Internet, auf Grund dessen wir gebucht haben. Ein bisschen freundliches Maulen hilft: Wir kriegen Ersatz in einem kleinen Würfel mit nur vier Einheiten und haben deutlich mehr Fläche, fast ein Doppelbett, ein Bad mit Wanne und einen begehbaren Kleiderschrank, in dem unser Gepäck verschwinden kann.
Nach dem Einräumen machen wir einen ersten Erkundungsgang, der uns einen  Fahrplan, eine Wanderkarte und ein Bier beschert, und dann machen wir uns allmählich zurück zur heimischen Küche, die Tomatensalat mit Bündner Fleisch, frische Tortellini und zum Dessert ein Beerenmix bereit hält. Unser „Doppelstockbett“ ist recht bequem, Kay der Blasenleidende wird nach dem Monsterabwasch zur Schonung reingepackt, und Ini folgt bald nach. Ruhig ist es hier, so ruhig, dass der tropfende Küchen-Wasserhahn eine Riesenstörung darstellt und Ini weckt. Immerhin hört sie deshalb den in der Ferne rufenden Kuckuck.
 
 
Montag, 18. Juni 2007