Wandern!
 
Freitag, 22.6.
Die Wolken fliegen tief wie angekündigt, aber einen kleinen Ausflug machen wir trotzdem. Die Rhätische Bahn bringt uns per Express nach Klosters Platz, von wo aus wir nach Dorf laufen. Da wir gerade nicht in, sondern knapp unter einer Wolke sind, können wir immerhin erkennen, dass Klosters schöner zu sein scheint als Davos. In Dorf startet die Madrisabahn, eine Kabinenbahn ohne Wartezeit, und wir hüpfen in einen der kleinen blauen Würfel und sind nach einer Viertelstunde im grauen Nichts auf fast 1900 Meter angekommen. Dort kann man fantastisch laufen, stellen wir fest, aber wir trauen den Sichtverhältnissen nicht und fahren vorsichtshalber gleich wieder runter. Gut so - kaum sind wir unten, grollt von oben ein kräftiger Donner.
Wir erwischen einen Bus zum Bahnhof, kommen rechtzeitig zum nächsten Zug und damit wieder nach Hause. Der Tag vergeht mit Lesen und Filmbearbeitung, begleitet von ein wenig Handwerkerunruhe: Unser tropfender Wasserhahn wird gegen einen ruhigen Kameraden ausgewechselt, und unverhofft kriegen wir auch noch „Nachtvorhänge“ vor die Fenster.
 
Samstag, 23.6.
Wir erwachen früher als eigentlich geplant, und deshalb gelingt es uns, schon den Zug um neun Uhr nach Klosters zu erwischen. Mit Bustransfer nach Dorf und der Hilfe der Kabinenbahn, von der aus man heute durchaus ein wenig von der Gegend sehen kann, sind wir schon um zehn „auf der Alm“.
Durch viele bimmelnde Kühe wandern wir auf- und ostwärts. Ini hat einen Rundwanderweg von vier Stunden ausgeguckt, aber das Projekt ist ein bisschen vage, denn wir haben von der Gegend jenseits von Klosters nur eine Reklame-Panoramakarte mit ziemlich ungenauen Angaben. Trotzdem machen wir uns frohgemut innerhalb der uns umgebenden Wolken auf, kommen zum Zügenhüttli, danach zum Älpli - und dann lange Zeit nirgends mehr hin. Laut „Karte“ müssten wir schon längst am Schlappiner Joch sein, aber das ist nach zwei Stunden immer noch nicht erreicht. Jetzt noch mit einem Aufstieg von 400 Metern anzufangen ist uns denn doch zu blümerant, obwohl sich die Wolken immer weiter gelichtet haben und dem Wetterbericht alle Ehre machen: wolkig mit sonnigen Abschnitten. Aber man weiß bei Rundwegen schließlich nie: Vielleicht wartet kurz vor dem Ziel ein tiefer, tiefer See auf uns, und wir müssen den ganzen Weg wieder zurück… Wir gehen lieber jetzt zurück, bekommen ein paar schöne Blicke vom Prättigauer Höhenweg und fallen nach gut vier Stunden Marsch im Bergrestaurant Saaseralp ein, wo die Cafeteria uns mit Atzung versorgt. Natürlich planen wir als denkende Menschen unseren Aufenthalt dort so, dass wir passend zum nächsten Bus wieder unten in Dorf sind - natürlich, aber denkste, denn ausgerechnet diesen Takt lässt der Bus aus. 40 Minuten zu warten ist uns zu doof - da laufen wir lieber zum Bahnhof nach Platz, wo es bestimmt noch ein Weißbier für uns gibt. Wahrscheinlich gibt es das, aber da unsere Augen auf einen abfahrbereiten Zug nach Davos fallen, vergessen wir das Bier und hoppeln gerade noch rechtzeitig in die Schmalspurbahn.
Das Bier wird in Davos im Sheraton nachgeholt, und dann beginnen die häuslichen Nachmittags- und Abendaktivitäten. Da Ini ziemlich putt ist, wünscht sie sich Fernsehen, und dank arte müssen wir weder „Wetten, dass“ noch einen doofen Katastrophenfilm ansehen, sondern können uns über die Kunst des Kanonengießens im 16.Jahrhundert bilden, über die die Engländer verfügten und die Spanier nicht, was zum Untergang von deren Flotte maßgeblich beitrug. Anschließend lernen wir noch viel über die chinesische Ferieninsel Hainan - auch ein Ort, den wir nicht gesehen haben müssen.
 
Sonntag, 24.6.
Nach einer nicht durchgehend mit Schlaf gesegneten Nacht stehen wir um halb acht auf und bitten nach dem Frühstück Herbi, uns zur Talstation der Rinerhornbahn zu bringen - der Stundentakt der hiesigen Öffis passt jetzt gerade überhaupt nicht. Nach nur einer Viertelstunde sind wir in Glaris und nach weiteren 15 Minuten oben in Jatzmeder auf 2054 Meter. Oben? Mitnichten! Da ist doch noch das Rinerhorn knappe 500 Meter höher, und heute ist ein wunderschöner Wandertag - das behauptet der Wetterbericht, und es stimmt.
Frohgemut steigen wir auf nach Hubel, und damit ist fast die Hälfte der Höhe schon geschafft. Aber als wir das eigentliche Horn in Angriff nehmen, werden wir zunehmend von einem kalten Wind gepeitscht, der über die Grate pfeift und uns, wenn wir weiter steigen ins exponierte Hochalpine, bestimmt zwei Stunden nicht mehr loslassen wird. Gestern hat Kay zum Rückmarsch geblasen, heute ist es Ini: Die Aussicht, vom Berg gepustet zu werden, ist wenig verlockend. Verlockend ist aber der Tag, und so widmen wir die Höhen- zu einer Langwanderung um: Wir wandern auf kurzem Weg zurück zur Bergstation und von da aus Kilometer um Kilometer über die Leidbachalp zurück nach Glaris. Nach viereinhalb Stunden finden wir Herbi auf dem Parkplatz wieder und brauchen für unsere qualmenden Füße erst mal kühle Sandalen und für unseren qualmenden Durst (Oder was macht Durst sonst? Qualmt er etwa nicht?) viel Bier. Das lässt sich - welch Wonne - sogar auf unserer Terrasse einnehmen.
Abends gehen wir endlich mal essen. Das Hotel Bünda fast gleich nebenan spendiert uns ein ordentliches Dreigangmenü und dazu eine Flasche Rotspon aus der Gegend. Dadurch sind wir gestärkt genug für einen (sogar verständlichen) Tatort aus Österreich und die anschließende Abschiedssendung von Sabine Christiansen, die zu diesem Behufe keinen Geringeren als den Bundespräsidenten als Einzelgast empfangen darf. Hilfe, der Köhler ist für mehr plebiszitäre Elemente! Wenn das die Angie hört…
Ini pennt nach der letzten schlechten Nacht und dem anstrengenden Tag wie ein Baby, Kay eher so lala.
 
Montag, 25. 6.
Kay, dessen Zuuustand sich immer mehr verschlechtert, besorgt sich telefonisch einen Arzttermin für Donnerstag - Ini darf das hektisch begonnene Packen erst mal vertagen.
Wir machen uns nach dem Frühstück rasch los, denn für den Nachmittag sind Gewitter prognostiziert. Von Dörfji aus fährt die Pischa-Bahn zwar nicht, überhaupt nicht im Sommer, denn der ganze Berg ist absolutes Pflanzenschutzgebiet, aber wandern darf man schon. Wie wir unterwegs bemerken, dürfen die Kühe die absolut geschützten Pflanzen fressen und zuscheißen - was heißt denn hier nun Pflanzenschutz? Wir schnüren steil bergauf in Richtung Bergstation, die wir aber knapp verfehlen, denn nach einer guten Stunde drängelt Kay zum Rückzug - die Wolken werden dunkler und kommen tiefer. Wir kommen auch tiefer und trotz eines Kay-Sturzes auf dem ekelig losen Geröll heil unten an, und noch ist von Unwettern nichts zu sehen. Also gucken wir uns zum zweiten (und auf dem Rückweg zum dritten) Mal den Flüela-Pass an und dazwischen Scuol, das uns als zu groß und nicht sonderlich schön erscheint, und Androz, das in der Tat eine Perle in der Krone der Engadiner Dörfer ist - oder so.
Zu Hause packen wir dann wirklich und beginnen mit der Vernichtung unserer Vorräte. Die Ostschweiz hat inzwischen eine Unwetterwarnung für die Nacht, aber bis zum späten Nachmittag ist es immer noch heiter. Wir erleben also, dass auch der sorgfältige Davoser Wetterbericht irren kann.
 
Dienstag, 26.6.
Zu Murkels Freude hat der Wetterbericht auch Unrecht, was die Nacht betrifft - es blitzt und donnert zwar mal, bleibt aber grundlegend frei von Unaussprechlichen. Als wir am Morgen dann in den zum Teil blauen Himmel blinzeln, stellen wir fest, dass aber doch eine Kaltfront durchgezogen sein muss, denn der Schneepuder auf den Bergen über uns reicht bis knapp über den Ort.
Wir fahren um halb neun ab und sind zehn Stunden später zu Hause, aufgehalten von zwei kleineren Staus, und Pausen haben wir auch gemacht. Ini wollte die Tour auf zwei Tage verteilen, aber Kay hat deutlich opponiert. Letztlich hat er Recht behalten: Man kann ohne allzu viel Stress an einem Tag nach Davos fahren.
Und jetzt gehen wir beide erst mal zum Onkel Doktor!
 
Montag, 25. Juni 2007