Zauberberg
 
Donnerstag, 21.6.
Vom Sommeranfang ist wenig zu spüren: Die Gewitterfront hat uns in der Nacht ereilt und lungert auch tagsüber noch über uns herum, was heißt, dass die Wolken tief fliegen und immer mal wieder einen sanften Regenschauer oder auch einen kräftigen Wolkenbruch mit Hagel im Gepäck haben. Für uns bedeutet das Ausschlafen und einen gemütlichen Vormittag.
Erst gegen halb eins machen wir uns behütet und mit Regenschirmen bewaffnet auf. Weit wollen wir nicht - es ist genau das richtige Wetter, um den Zauberberg zu besichtigen. Zwei Mal in der Woche werden kostenlose Hotelführungen angeboten, wohl nicht ganz uneigennützig. Man hofft, Gucker zu Gästen im „Berghotel Schatzalp“ zu machen. Bei uns wird das aber nicht gelingen, denn die normalen Zimmer sind allzu spartanisch, dürften aber dennoch einen epikureischen Preis kosten. Nur der Kaiser hätte es wesentlich bequemer gehabt, wenn er denn gekommen wäre: Der deutsche Willi Zwei hat in der Angst, mal an der Schwindsucht erkranken zu können, dauerhaft ein Zimmer im Luxussanatorium gemietet. Man plant übrigens direkt nebenan einen 30 oder 35 Stockwerke hohen Bienenwabenturm mit Luxuswohnungen und will nebenbei das Hotel renovieren, aber noch fehlt dafür das Geld. Hoffentlich fehlt es noch lange, wünschen wir uns.
Heute Hotel, früher Lungenklinik - und Zauberberg. Noch heute stehen im Speisesaal die Tische so, wie sie früher gestanden haben dürften, und es fällt nicht schwer, sich das Klappern der Absätze der Saaldienerinnen auf dem Terrazzoboden oder den verspäteten Auftritt von Madame Chauchat zu den Mahlzeiten vorzustellen - die Glastüren, die in diesem Riesenraum führen, kann man bestimmt nicht leise ins Schloss fallen lassen. Nicht nur die Sitzordnung im Restaurant, vieles ist noch erhalten und erinnert an die Hoffnungslosigkeit der unheilbaren reichen Kranken, die die Korken knallen ließen, wann immer sie dazu eine Gelegenheit sahen.
Mittags gab es im Sanatorium einen Sechsgänger, abends „nur“ ein Viergangmenü für die Menschen mit dem rasenden Stoffwechsel. Wir begnügen uns mit einer typischen Schweizer Eingang-Mahlzeit im Restaurant Schatzalp, denn das Hotel öffnet erst Ende des Monats. Kay verspachtelt Rösti und Ini Raclette, und danach verspürt keiner von uns Lust auf weitere drei oder gar fünf Gänge. Obwohl es gerade aufklart, fahren wir wieder mit der Bahn bergab, denn unsere Lederschuhe dürften dem regennassen steilen Weg nicht gewachsen sein. Auf der Promenade tun  wir noch ein paar Verdauungsschritte, bis uns ein Bus aufgabelt und in Heimatnähe absetzt. Zeit zum Lesen! (Weitere Fotos)
 
 
Freitag, 22. Juni 2007